Schröder bindet Kriegsgegner in der eigenen Partei ein

■ Auf dem SPD-Sonderparteitag ging es nur um eins: den Kosovo-Konflikt. Gerhard Schröder rechtfertigt den Nato-Einsatz und erhält dafür von den Delegierten viel Beifall

So etwas hat es noch nicht gegeben. Da wird ein Parteitag nur deshalb ins Leben gerufen, weil der alte Parteichef, Oskar Lafontaine, das Handtuch geworfen hat, da sollen ein Vorsitzender und ein Bundesgeschäftsführer gewählt werden, da stellen sich Fragen nach der künftigen Ausrichtung der Partei – und was passiert: Es geht nur um eins, um das Kosovo.

Wo sonst nach den Reden forsche Stellungnahmen zu erhalten sind, herrscht diesmal Nachdenklichkeit vor. Die Parteilinken kommen nicht so links daher wie sonst, die Parteirechten nicht so rechts. Es geht nicht mehr um Schröder- Gegner und Schröder-Anhänger, der Schröder-Lafontaine-Konflikt ist Schnee von gestern. Jemand wie der Parteilinke Hermann Scheer, der die Haltung der Nato und deren Unterstützung durch die Bundesregierung als „gespenstisch“ empfindet, und die emotionale Kriegsgegnerin Andrea Nahles sind eher die Ausnahme.

Da ist zum Beispiel Iris Gleicke, Vizefraktionschefin der SPD. 34 Jahre alt, aus Ostdeutschland, ehemals Mitglied der Friedensbewegung, Mitglied des Frankfurter Kreises, der Parteilinken. Sie klatscht nur selten bei Schröders Rede, die so sehr darauf gerichtet ist, den Einsatz im Kosovo zu rechtfertigen. Aber nicht, weil sie die Rede schlecht fände, sondern eher, weil sie es selber nicht so recht glauben will, daß sie zustimmen könnte. Eine Dreiviertelstunde spricht Schröder über das Kosovo, fünf Minuten zu Arbeitslosigkeit, zwei Sätze zu Oskar Lafontaine.

„Schwierig, schwierig“, sagt Iris Gleicke, als sie zu ihrer Meinung über den Parteitag befragt wird. Sie überlegt, wägt die Worte. Eigentlich ist sie ja gegen Krieg, glaubt nicht, daß Krieg ein Mittel der Politik sein könne, aber schließlich müsse man ja auch mal die Vorgeschichte sehen. Die immer wieder neuen Angebote der Nato an Milošević, dessen Hinhaltetaktik und schließlich dessen Grausamkeit. Gleicke reibt sich bei diesen Worten mit den Fingern über den Mund. Hin und her. Als wolle sie ihre Worte gar nicht herauslassen. Dann zeigt sie ihre Handflächen und sagt: „Diese Hände sind nicht mehr weiß.“ Soll heißen, die Abgeordneten waschen ihre Hände nicht mehr in Unschuld. Den Antrag der Parteilinken, die eine „befristete Feuerpause“ befürworten, hat sie nicht unterzeichnet.

Gerhard Schröder hatte zuvor einen Satz gesagt, der vielen Kriegsgegnern der SPD gutgetan hat. „Wer aus grundsätzlichen pazifistischen Überlegungen heraus gegen den Krieg ist, wird in der SPD weiterhin eine politische Heimat haben.“ Schröder unterfüttert das im Laufe seiner Rede nicht weiter, fordert Solidarität mit der Nato, mit der europäischen Gemeinschaft, mit der Bundesregierung, spricht von „Verpflichtung“, „Verantwortung“, „Notwendigkeit. Dennoch: Mit diesem einen Satz hat Schröder den Kriegsgegnern eine Brücke gebaut.

Andere fühlen sich dagegen nicht ernst genommen. Die Juso- Vorsitzende Andrea Nahles hat das Gefühl, daß Schröder diejenigen, die aus rationalen Gründen ganz konkret gegen den Kosovo- Krieg sind, in die Ecke von grundsätzlichen Pazifisten drängen will.

Die Delegierten haben Schröders Rede viel beklatscht, nicht leidenschaftlich, aber dankbar, daß er es ihnen leichtmacht, ihm zuzustimmen. Die ständige Wiederholung der Greueltaten von Milošević verfehlt ihre Wirkung nicht. Aber auch Nahles bekommt viel Beifall, als sie sagt: „Es muß möglich sein, militärische durch politische Logik zu ersetzen.“

Allerdings hat auch Andrea Nahles ihre Haltung relativiert. Ursprünglich wollten die Parteilinken einen Antrag stellen, in dem ein bedingungsloser Waffenstillstand der Nato gefordert wird. Aber das war selbst in ihren Reihen umstritten. Vizefraktionschef Gernot Erler schloß einen solchen Antrag im Vorfeld aus. Durch Vermittlung des ehemaligen SPD- Vordenkers Egon Bahr wurde am Vorabend des Parteitages eine Kompromißlösung gefunden: die „befristete Feuerpause“, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Aber auch diesen Antrag wollten einige Parteilinke nicht mittragen. Wie Gernot Erler, der gestern sagte: Dringender als alles andere im Kosovo-Krieg sei „der fragende Blick der Opfer.“ Andrea Nahles bringt das auf die Palme. Erler habe sich mit seiner Haltung zum Kosovo-Krieg aus dem Kreis der Linken verabschiedet.

Nur einer rückt auf dem Parteitag nicht das Kosovo in den Mittelpunkt seiner Rede. Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner fiel die Aufgabe zu, ein wenig Normalität zu vermitteln. Aber das mißlang. Gelächter, als er sagt, die Bundesregierung könne nur Erfolg haben, „wenn die Partei sie stutzt und unterstützt“. „Stützt“, verbessert er sich, aber jeder wußte, daß er „stutzt“ meinte. Seine lobenden Worte für Lafontaine blieben ohne Resonanz. Schröder ist seinen Schatten losgeworden. Die Liebe der Partei hat der neue Parteivorsitzende damit noch nicht. Vernünftigerweise versuchte er auch nicht, darum zu buhlen. „Was ich möchte“, sagte er an die Delegierten gewandt, „ist euren Respekt und eure Unterstützung.“ Er wolle nur irgendwann sagen können: „Ich habe sogar Zuneigung verdient.“ Da lachten sie. Und Schröder hatte wieder gewonnen. Markus Franz, Bonn