Ein Geheimabkommen wird gelüftet

■ Wieviel wußte der Bundestag über den umstrittenen "Annex B" des Abkommens von Rambouillet? Offenbar informierte das Auswärtige Amt selektiv: Während der Auswärtige Ausschuß offenbar informiert war, tappten

Wieviel wußte der Bundestag über den umstrittenen „Annex B“ des Abkommens von Rambouillet? Offenbar informierte das Auswärtige Amt selektiv: Während der Auswärtige Ausschuß offenbar informiert war, tappten die übrigen Abgeordneten im dunkeln Von Severin Weiland

Ein Geheimabkommen wird gelüftet

Wie umfassend waren die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über das komplette Vertragswerk von Rambouillet informiert? Nach Darstellung des Sekretariats des Auswärtigen Ausschusses hat das Auswärtige Amt die Unterlagen über den Vertragsentwurf sowie den umstrittenen Annex B dem Auswärtigen Ausschuß des Parlaments frühzeitig zur Verfügung gestellt. Wie in der taz vom Vortag berichtet, hatten mehrere Abgeordnete sich beklagt, der Text sei erst am Donnerstag vergangener Woche auf ihr Drängen hin ausgeliefert worden. Das Ausschuß-Sekretariat erklärte gestern, Außenminister Joschka Fischer habe dem Ausschuß bereits am 24. Februar eine mündlichen Bericht über die Verhandlungen in Rambouillet erstattet, also einen Tag nachdem die festgefahrenen Verhandlungen ausgesetzt worden waren. Nach der erneuten Aufnahme der Gespräche am 15. März und dem endgültigen Scheitern des Vermittlungsversuchs von US-Unterhändler Richard Holbrooke hatte die Nato mit ihren Luftangriffen begonnen. In dem Annex B, den die taz am 6. April auszugsweise dokumentiert hatte, werden den Nato- Truppen im Falle ihrer Stationierung im Kosovo auch weitgehende Rechte in Gesamtjugoslawien zugebilligt.

Nach Darstellung des Sekretariats des Auswärtigen Ausschusses übergab Fischer nach seinem mündlichen Vortrag vor den Ausschußmitgliedern am 24. Februar dem Vorsitzenden Hans Ulrich Klose (SPD) zwei Exemplare des Rambouillet-Abkommens, darunter auch den Annex B. Fischer habe wegen der noch nicht abgeschlossenen Gespräche vertrauliche Behandlung der Dokumente gebeten. Klose, so hieß es gestern auf taz-Nachfrage aus dem Sekretariat des Auswärtigen Ausschusses, habe die beiden Exemplare im Sekretariatsbüro zur Einsicht für die Abgeordneten des Ausschusses hinterlegen lassen. Die Obleute der im Ausschuß vertretenen Parteien (CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und PDS) hätten ihn daraufhin gebeten, jeweils ein kopiertes Exemplar zur Mitnahme zu erhalten. Diesem Wunsch wurde entsprochen.

Nach Auskunft des Sekretariats wurden den Abgeordneten Helmut Lippelt (Grüne), Karl Lamers (CDU/CSU), Christoph Zöpel (SPD), Ulrich Irmer (FDP) und Wolfgang Gehrcke (PDS) jeweils eine Kopie zugestellt. Wie die Abgeordneten damit umgingen, war gestern nur bedingt zu erfahren. Lippelt war gestern ebensowenig zu erreichen wie Irmer, Zöpel und Gehrcke. Aus dem Büro des außenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Lamers, wurde gegenüber der taz allerdings bestätigt, daß man am 24. Februar ein Exemplar samt Annex B in englischer Sprache erhalten hatte. Man habe sich intern darauf geeinigt, daß auch andere Unionsabgeordnete das Exemplar hätten einsehen können. Davon hätten mehrere Abgeordnete Gebrauch gemacht, so eine Mitarbeiterin. Ungeklärt bleibt, ob auch Mitglieder des Bundestages informiert wurden, die nicht dem Ausschuß angehören. Wegen der großen Nachfrage sei in der vergangenen Woche vom Auswärtigen Amt ein zweites Exemplar verschickt worden. Dies geschah offenbar als Reaktion auf den taz-Artikel, in dem Auszüge des Annex B auf deutsch abgedruckt wurden.

Die Verwirrung, wieweit die Abgeordneten über das Abkommen informiert worden waren, hatte unter anderem ein Brief der verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, ausgelöst. Die Abgeordnete hatte ausweislich des Protokolls des Auswärtiges Ausschusses (dort ist sie stellvertretendes Mitglied) am 24. Februar der Sitzung nicht beigewohnt. In ihrem Brief an die Bundestagsfraktion hatte Beer geschrieben, wenn sie zum Zeitpunkt des Aussetzens der Rambouillet- Verhandlungen (am 23. Februar) vom Annex B gewußt hätte, hätte sie für Nachverhandlungen plädiert. In ihrem Brief schreibt Beer: „Hätte ich diesen Passus (der Annex B; die Red. ) – der aus Sicht Belgrads inakzeptabel sein mußte – zum Zeitpunkt des Aussetzens der Verhandlungen von Rambouillet gekannt, hätte ich eingefordert, daß die dann erfolgte zweiwöchige Verhandlungspause genutzt wird, um den Annex neu zu formulieren, um so doch noch Belgrads Unterschrift zu erhalten.“ Vor diesem Hintergrund, heißt es weiter, hätte sie sich „gegen die Umsetzung von ,Act-Ord‘ – also dem Beginn des Luftkrieges – ausgesprochen“. Ob Beer bei Lippelt das Abkommen jemals einsah oder einsehen konnte, blieb trotz Nachfrage in ihrem Büro unklar.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes wies gestern gegenüber der Agentur AFP darauf hin, weil die Konferenz von Rambouillet unter britischem und französichem Vorsitz gestanden habe, könne die Bundesregierung nicht von sich aus Veröffentlichungen vornehmen. Daher sei der Text am 24. Februar an den Auswärtigen Ausschuß weitergeleitet worden. Beim Anhang B gehe es um technische Fragen zur Umsetzung der in Kapitel 7 festgelegten militärischen Implementierung des polititischen Teils des Abkommens. Die jugoslawische Seite habe sich aber geweigert, auch nur über die militärische Implementierung zu verhandeln, so daß die technischen Fragen gar nicht zur Sprache gekommen seien. Weiter erklärte der Sprecher, über den Annex B hätte man zumindest in einzelnen Punkten verhandeln können.

Rambouillet-Abkommen im Internet: http://www.alb-net.com/kcc/ interim.htm