Das menschliche Auge ist kein Tachometer

■ Bei Nacht ist das Auge leicht zu täuschen. Autofahrer schätzen ihre Geschwindigkeit falsch ein

Geschwindigkeiten sind bei Nacht mit dem Auge schwer einschätzbar. Warum das so ist, haben Wissenschaftler des Max-Planck- Instituts und der Universitäts-Augenklinik in Tübingen untersucht. Weil die für das Farben- und Scharfsehen zuständigen Zapfen in der Netzhaut des Auges bei schwachem Licht ausfallen, wird die Geschwindigkeit um dreißig Prozent geringer eingeschätzt, als sie tatsächlich ist, schreiben sie im britischen Wissenschaftsmagazin Nature.

Die Forscher vermuten nun, daß bei Autofahrern die Wahrnehmung der Geschwindigkeit in der Nacht beeinträchtigt sein könnte. „Im Lichtkegel der Scheinwerfer kann das Auge die Geschwindigkeit richtig erkennen. An den dunklen Rändern des Blickfelds werden die Veränderungen nur noch durch die Stäbchen registriert, die aber Geschwindigkeiten unterschätzen“, erklärte der Tübinger Wissenschaftler Karl Gegenfurtner. Dies könnte zur Unterschätzung der eigenen Fahrgeschwindigkeit führen.

Die menschliche Netzhaut enthält sechs Millionen Zapfen, die Farbe und Schärfe erkennen können, bei schlechten Lichtverhältnissen aber nicht funktionieren. Die rund 110 Millionen Stäbchen hingegen sind vornehmlich für das Dämmerungs- und Nachtsehen zuständig, liefern dafür aber keinen Beitrag zum Farben- und Scharfsehen.

Um die Unterschiede der verschiedenen Rezeptoren bei der Wahrnehmung von Geschwindigkeiten zu testen, spielten die Wissenschaftler einer Gruppe von Versuchspersonen auf Bildschirmen sich unterschiedlich schnell bewegende Balken vor, die jeweils nur die Stäbchen oder die Zapfen aktivierten. Die Probanden mußten die Geschwindigkeit der Bilder vergleichen. Im Ergebnis schätzten sie die Geschwindigkeit mit den Stäbchen um 25 Prozent langsamer ein als durch die Zapfen. Umgekehrt war die nur von den Zapfen erkannte Bewegung um 30 Prozent schneller als die von den Stäbchen wahrgenommene. fwt