Berlin, Metropole, etc.
: Provinz Mitte

■ Golfschläge gegen den Kulturbaron: Die „New York Times“ mit Berlin-Special

Nicht alle Zeitungen lieben die Aktualität des Tagesgeschäfts. Manchmal dürfen Themen auch ein bißchen auf dem Redaktionstisch lagern, bis die Wahrheit hinter den Dingen praktisch von selbst aus den Papierstapeln wächst. Die Ruhe der New York Times ist in dieser Hinsicht bemerkenswert: Nachdem jahrelang lauter Debatten, Meinungen und andere kleine Spitzfindigkeiten über den neuen Status von Berlin als Metropole weltweit durch das Feuilleton geisterten, hat die Times noch einmal ordentlich aufgeräumt. In ihrer Wochenendausgabe war auf elf vollen Seiten zu lesen, wie sich Berlin nach dem Mauerfall entwickelt hat – Stadtplanung, Opernstreit und Clubsterben inklusive.

Neu liest sich an den insgesamt sieben langen Textriemen nicht allzuviel. Mit der Architekturdebatte um „kritische Rekonstruktion“ oder eine mehr zukunftsorientierte Stadtplanung werden wieder bloß die üblichen Verdächtigen vorgeführt: Wo Josef Paul Kleihues für konservative Werte wirbt, findet Daniel Libeskind den Umbau einfach „langweilig und wenig inspiriert“. Das letzte Wort in dieser Hinsicht hat allerdings der Berliner Planungsdirektor Hans Stimmann, der sich als 68er outet, trotzdem aber meint, daß 90 Prozent der alten Bauten besser waren, „also laßt uns das Experiment stoppen“. Außerdem wolle er mit dem Bebauungsmodell auch keine „Sammlung von lauter Picassos“ zusammenstellen. Stets hört man in den Texten ein Seufzen der Times-Schreiber heraus, weil Berlin weder Wolkenkratzer noch Avantgarde baut. Und ein Kichern, wenn Gerhard Schröder ums neue Kanzleramt Bäume pflanzen läßt, damit die Toskana ein Stückchen näher rückt.

Die Kulturpolitik von Peter Radunski dagegen wird im großen Stil abgewatscht. Anne Midgette hält seine Zeit mit der nächsten Wahl für abgelaufen – schließlich wisse Radunski ja nicht einmal, daß Richard Strauss kein Berliner war ... Was in der endlosen Kulturdebatte vor Ort kein Mensch mehr ernst nimmt, liest sich im New Yorker Kontext wie ein Golfschlag gegen die Kniescheibe des Kulturbarons. Besonders gute Laune in den Zeiten der Berliner Republik scheint sich Ed Ward bewahrt zu haben. Der Rolling Stone-Rockschreiber genießt seit fünf Jahren das Nachtleben – gerade weil es sich so unspektakulär gestaltet. Der einzige Nachteil, so Ward, sei das ewig gleiche Becks-Bier in den ewig gleichen Techno-Pinten. Nur ein Laden hat ihm besonders gefallen. An der Mauerstraße gab es eine illegale Kellerbar, in der man Caipirinha trinken konnte, lange bevor der Drink zum Standardgesöff für Abenteuertouristen in Mitte wurde. An die Bar mag man sich auch in den hiesigen Redaktionsräumen gern erinnern. Und Mitte ist ja ohnehin eine Art Reeperbahn für Besserverdienende aus der Provinz geworden. Harald Fricke