Venezuela sucht Weg aus der Krise

■ Sondervollmachten für umstrittenen Präsidenten Chàvez

Um das schwindelerregende Haushaltsdefizit abzubauen und die rezessionsgeplagte Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, hat das venezuelanische Parlament den Präsidenten nach langem Zögern die gewünschten Vollmachten erteilt. Anfang April haben die Parlamentarier Hugo Chàvez grünes Licht erteilt, um der sozialen Krise Herr zu werden.

Sechs Monate hat der ehemalige Oberst nun Zeit, das überbordende Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Auf 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder gute 15 Milliarden Mark ist das Loch in den öffentlichen Kassen angewachsen, das Chàvez nun schnellstmöglich auf ein erträgliches Maß senken will.

Der schlanke Staat soll die Inflation bekämpfen

Wie schnell es gehen kann, wenn die Basisindikatoren, wie Haushaltsbilanz oder Verschuldung in eine Schieflage geraten, hatten sowohl Brasilien als auch Ecuador in jüngster Zeit erleben müssen. Ähnlich wie in Ecuador ist Venezuelas Währung bereits mächtig unter Druck geraten. Das Land stöhnt derzeit unter einer Inflationsrate von rund 30 Prozent und liegt damit gleich hinter Ecuador (rund 40 Prozent) auf Platz zwei der lateinamerikanischen Rangliste. Um nicht das gleiche Schicksal wie das Nachbarland, das von der schlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 70 Jahren gebeutelt wird, zu erleiden, will Chàvez das Haushaltsdefizit auf drei bis fünf Prozent reduzieren. Eine Banktransaktionssteuer von 0,5 Prozent soll 1,1 Milliarden US-Dollar in die leeren Kasen bringen, und auch von der Umwandlung der Umsatzsteuer in eine variable Mehrwertsteuer erhofft sich die Regierung weitere Mittel.

Aber auch Beamte sollen entlassen und überhaupt der Staatsanteil in der Wirtschaft gesenkt werden.

Besonders letztere Maßnahme wird im Ausland aufhorchen lassen, denn der ehemalige Oberst Chàvez hatte im Wahlkampf angekündigt, daß mitPrivatisierungen unter seiner Präsidentschaft nicht zu rechnen sei. Daß Chàvez nun genau den gegensätzlichen Kurs einschlägt, dürfte bei Investoren und beim IWF mit Wohlwollen notiert werden. Genau dieses Wohlwollen benötigt Chàvez allerdings auch, denn selbst wenn es ihm wie geplant gelingen sollte, das Defizit auf fünf Milliarden US-Dollar zu drücken, ist er darauf angewiesen, Kredite zur Dekkung dieses Finanzlochs an Land zu ziehen.

Auch für die angepeilte Restrukturierung eines Teils der Auslandsschulden in Höhe von 23 Milliarden US-Dollar benötigt der Ex-Putschist, dessen Wahlsieg nicht nur in den USA Bauchschmerzen hervorrief, internationales Entgegenkommen. Eine Schlüsselrolle dabei dürfte die IWF-Reaktion auf das Reformpaket für die angeschlagene Wirtschaft spielen.

Die Ursachen für die Krise in Venezuela gleichen denen im benachbarten Ecuador: einseitige Abhängigkeit von einigen Exportprodukten, im Falle Venezuelas vor allem vom Erdöl, das 70 bis 80 Prozent aller Exporte ausmacht, aber auch chronische Korruption und Mißmanagement, so Chàvez in seiner Ansprache an die Bevölkerung Donnerstag vor einer Woche. Notwendige Reformen wurden verschlafen, so daß der Verfall der Rohölpreise auf dem Weltmarkt das Land in die neuerliche Rezession, die dritte binnen fünf Jahren, stürzte.

Vorbilder sind nun Länder wie Chile oder Mexiko. In beiden Ländern sind die Strukturdaten trotz der brasilianischen „Samba-Krise“, die für alle Staaten eine Verknappung externer Mittel mit sich brachte, gut. Einnahmeausfälle durch einen niedrigen Kupferpreis, wie im Falle Chiles, werden durch einen Ausgleichsfonds aufgefangen, während Mexiko seit dem Tequila-Crash von 1995 ein investorenfreundliches Finanzkonzept verfolgt.

Kapital aus dem Ausland soll die Wirtschaft retten

Investoren will Chàvez nun wieder verstärkt ins Land holen. Die Privatisierung der verlustbringenden Aluminiumwerke steht genauso an, wie der Rückzug des Staates aus dem Elektrizitäts- und Tourismussektor. Doch mit der Privatisierungspolitik allein ist es nicht getan, wie die brasilianische „Samba-Krise“ gezeigt hat. Dort wurden die vom Präsidenten geforderten Reformen der Verwaltung, des Steuer- und Justizsystems blockiert – mit den bekannten Folgen. Ein Schicksal, das Venezuela auch noch drohen kann, denn der Restrukturierung des öffentlichen Apparats und der Reduzierung der zahlreichen staatlichen Finanzinstitute hat das Parlament die Gefolgschaft verweigert.

Knut Henkel