„Wir müssen zeigen, daß wir uns nicht verdrücken“

Aus allen großen Städten der Bundesrepublik brechen Kosovo-Albaner auf, um sich der UÇK im Kosovo anzuschließen. Die Guerilla hat in Deutschland schon mehrere Millionen Mark gesammelt. Sogar Sozialhilfeempfänger spenden  ■   Aus Berlin Philipp Gessler

Muhamet Gashi darf nicht in den Krieg ziehen. Seine Eltern, so erzählt der Berliner Schüler, haben es ihm verboten, sich freiwillig bei der kosovarischen Untergrundarmee UÇK zu melden. Denn er ist der einzige Sohn, er darf nicht fallen. Dabei will der 16jährige doch so gern kämpfen, erzählt er. „Wir müssen zeigen, daß wir uns nicht verdrücken, sondern uns wehren, denn es reicht langsam.“

Die Schnauze voll von der Untätigkeit in Deutschland haben allein in Berlin mehrere hundert Kosovaren, die sich mit der Waffe für ihre Heimat einsetzen wollen. Am Sonntag morgen fuhren aus Berlin drei Busse mit Freiwilligen Richtung Kosovo – 20 bis 30 Interessenten meldeten sich jeden Tag, sagt der Leiter des albanischen Kulturvereins „Bajram Curri“, Sali Sefa. Die Männer (wenige Frauen) sind zwischen 18 und 50 Jahre alt und kommen aus allen Berufen. Familienväter sind unter ihnen, bevorzugt werden nicht berufstätige, physisch fitte Männer – wenn möglich mit Kampferfahrung oder zumindest militärischer Ausbildung, heißt es in albanischen Kreisen.

„Mehr als tausend Mann“, so berichtet der Auslandsvertreter der UÇK und „diplomatische Vertreter“ der provisorischen Kosovo-Regierung von Hashim Thaqi, Mujä Rugova, seien aus Deutschland schon als Rekruten in die Kriegsregion gebracht worden. Erst vorgestern fuhr ein Bus aus Solingen mit 110 Kämpfern Richtung Süden los.

Die Rekrutierung der Freiwilligen übernähmen die Aktivisten in albanischen Clubs, Cafés und Kulturzentren überall in der Bundesrepublik, erklärt Rugova. Von kriegsbereiten Albanern kursierten Listen, die jedoch nicht zentral verteilt, sondern in den verschiedenen Albaner-Treffs spontan zusammengestellt würden. Aufrufe zur Mobilmachung laufen vor allem über albanische Fernsehsender. Manche Gestellungsbefehle werden offenbar aber auch öffentlich verlesen. Insgesamt gibt es Rugova zufolge in Deutschland nur drei offizielle UÇK-Vertreter. In den vergangenen zehn Tagen seien aus allen großen Städten der Bundesrepublik Busse mit Freiwilligen in den Balkan aufgebrochen, nur wenige hätten den Trip mit Privatautos angetreten.

Einer der Freiwilligen ist Adem Gashi, der Onkel des 16jährigen Muhamet. Er fuhr in dem Bus-Konvoi, der am Sonntag morgen von Berlin aufbrach. Per Telefon waren die Freiwilligen zum Treffpunkt am Berliner „Bajram Curri“-Kulturzentrum gerufen worden. Adem Gashi ist Vater von sieben Kindern, zwei Töchter sind erwachsen und verheiratet, fünf Kinder leben noch bei ihrer Mutter in Berlin. Er hatte keine Arbeit, half nur ab und zu in dem Café eines Bekannten aus. Früher im Kosovo war er Leiter eines Kindergartens. Wie die meisten UÇK-Freiwilligen fuhr er in ziviler Kleidung. Eine kugelsichere Weste hatte er dabei, nicht ungewöhnlich bei den Rekruten. Asylbewerber sind unter den Kämpfern, zumindest in Berlin waren Kosovaren mit Arbeitserlaubnis nach Informationen aus albanischen Kreisen eher die Ausnahme.

Der Berliner Kulturzentrumsleiter Sefa will über all diese Sachen lieber nicht reden, zumindest noch nicht. In Berlin sei er „Nummer eins auf der serbischen Todesliste“, sagt der bärtige Mann, der schon Anfang der Achtziger Demonstrationen für die Unabhängigkeit des Kosovo in der Provinzhauptstadt Pritina organisiert hatte. Aufgrund politischer Aktivitäten sei er acht Jahre im Gefängnis gewesen. Nein, in seinem Kulturverein träten keine Rekrutierungskommandos der UÇK auf, betont der ganz in schwarzes Tuch gehüllte Mann im tristen Albaner-Treff, einer Fabriketage mit Betonboden in einem Industrieareal. Hinter sich ein Berg von Kleiderpaketen betont er, daß man in diesem Club nur humanitäre Hilfe organisiere, mehr als 100.000 Mark habe man bereits gesammelt, erste Hilfskonvois sind schon Richtung Heimat aufgebrochen. Wer im Überschwang der Gefühle gleich als Freiwilliger der UÇK in den Kosovo wolle, den versuche man zu beruhigen. Er wolle ihnen vermitteln, daß sie so etwas „mit Verstand“ angehen sollten.

„Wir sagen den Freiwilligen für die UÇK immer: Überlegt es euch gut, ihr geht nicht auf eine Hochzeit“, heißt es unter den Albanern. Sei es den Rekruten geglückt, in der Regel über Italien und dann per Schiff in den Balkan zu kommen, wird es konkret. In Lagern der UÇK, nahe der „befreiten Gebiete“ im Kosovo, würden die Kämpfer körperlich gedrillt und erhielten eine zweiwöchige Ausbildung an der Waffe, wenn nicht bloß bekanntes Kriegswissen aufgefrischt werden müsse. Falsch, so hört man unisono bei den Albanern, seien Informationen, wonach Männer geradezu zum Kriegsdienst gepreßt würden, sich aber loskaufen könnten. „Die Leute melden sich von allein.“ Und das auch auf die Gefahr hin, nicht mehr einreisen zu können, wenn man als Asylbewerber das Land verlasse. Irgendwie, trotz Widrigkeiten mit Papieren, trotz Behinderungen an den Grenzen und offenbar nicht immer guter Organisation, gelangten die Rekruten in das Kampfgebiet, betont Sefa.Uniformen und Waffen erhielten die Freiwilligen in den Camps der UÇK, einige brächten jedoch auch schon ihre Uniform mit, die sie in Army Shops in Deutschland gekauft haben, erläutert ein Berliner Albaner. Denn es fehlt an allem. Mangelware vor allem: Panzerfäuste, um gegen das schwere Gerät der Serben überhaupt etwas ausrichten zu können.

Waffen würden von Deutschland nicht mitgenommen, heißt es im Berliner Kulturzentrum, man wolle mit der deutschen Regierung, die ja auch für ihre Sache kämpfe, keine Probleme. „Das muß äußerst diszipliniert vor sich gehen“, so die Order. Auch die Pakete für Hilfstransporte würden von albanischer Seite vor der Fahrt durchsucht, denn wenn darin Waffen versteckt würden, seien von dieser Organisation keine Hilfslieferungen für die Flüchtlinge mehr möglich.

Insgesamt, so berichtet der UÇK-Vertreter Mujä Rugova, habe man in Deutschland für die provisorische Regierung schon mehrere Millionen Mark gesammelt. Was dann die Regierung mit diesem Geld anfange, sei ihre Sache. Gerüchte, Waffen würden mit Drogengeldern gekauft, seien „Schwachsinn“, unterstreicht man bei den Kosovaren. Bis zu 5.000 Mark hätten Einzelpersonen in Berlin schon für die Sache zur Verfügung gestellt. Im Schnitt spendeten die Kosovaren 500 Mark, selbst Sozialhilfeempfänger geben Geld.

Sein Vater, ein ehemaliger Grundschullehrer, berichtet Muhamet Gashi, habe insgesamt mehr als 2.000 Mark gespendet, obwohl er derzeit keine Arbeit habe. „Geld“, so sagt einer im Kulturzentrum, „ist für uns zur Zeit nichts als Papier.“

„Wir sagen den Freiwilligen für die UÇK immer: Überlegt es euch gut, ihr geht nicht auf eine Hochzeit“