Pop will sell itself

Unterstützt von der Musikindustrie stürmen die Pullunder-Popper Liquido die Charts  ■ Von Sebastian Hammelehle

Wenn eine Band ständig behauptet keine Eintagsfliege zu sein, stellt sich die Frage, warum sie das macht. Womöglich, weil sie eine Eintagsfliege ist? Liquido, ein Quartett aus Heidelberg, legt Wert darauf, daß es viel mehr zu bieten habe als seinen Hit „Narcotic“, den sich im letzten halben Jahr über eine halbe Million Deutsche gekauft haben. Viel mehr zu bieten haben bedeutet im Fall von Liquido: Sie haben ein ganzes Album aufgenommen, das der Einfachheit halber auch den Namen Liquido trägt, denn auf dieses Kunstwort ist die Band stolz – eine Mischung aus „liquid“ (flüssig) und „Libido“ (Sexualtrieb) soll es sein.

Dieses Album allerdings ist bislang nicht einmal halb so erfolgreich wie „Narcotic“, der Superhit mit der eingängigen Keyboard-Melodie. Vielleicht deshalb, weil auf der Platte keine weiteren eingängigen Keyboard-Melodien zu finden sind, sondern höchstens durchschnittlicher Indie-Rock-Quark, der in seinen schlimmsten Momenten sogar an den schon überwunden geglaubten Crossover-Rock erinnert, mit dem Mitte der Neunziger Jahre andere deutsche Bands Erfolg hatten: Die H-Blockx zum Beispiel. Diese Gruppe war Vorreiter für eine ganze Reihe deutscher Rockstars wie es jetzt Liquido sind – alle kommen aus der westdeutschen Provinz, häufig aus Uni-Städten, alle bedienen sich beim amerikanischen Alternative-Rock der frühen Neunziger, alle singen englisch, weil ihre Texte auf deutsch eine Zumutung wären.

Motor dieser Entwicklung war der Musiksender Viva. Dessen Chef, der selbsternannte Visionär Dieter Gorny, prahlt gerne damit, daß er deutschen Musikern den Weg in eine Video-Rotation geebnet habe, die in der Popgeschichte vor ihm von MTV London beherrscht worden sei. Viva gehört zum überwiegenden Teil denen da oben – in der Musikbranche ist das die Plattenindustrie – und diese Firmen haben ein klares Interesse am Erfolg einheimischer Bands: Sie verdienen an ihnen ein Vielfaches von dem, was sie an Lizenzverträgen mit ausländischen Musikern verdienen würden, bei denen sie einen Großteil des Umsatzes an das jeweilige Mutterlabel abführen müssen.

Diese Plattenfirmen allerdings wollten Liquido zu Anfang gar nicht haben. Die Demo-Bänder der Band lehnten sie ab, erst als das Musikblatt Visions den Song „Narcotic“ auf einer Compilation veröffentlichte und das Lied dann im Radio gespielt wurde, nahm die VirginLiquido unter Vertrag. Die Band bekam das Etikett Pullunder-Pop verpaßt – irgendjemand muß der Meinung gewesen sein, dies sei auch jetzt, da das Revival der Siebziger Jahre ausklingt, noch sehr „schrill“. Vielleicht aber sollen die Pullunder auch nur davon ablenken, daß die vier von Liquido ausgesprochen langweilig aussehen. Die Band selbst ist von ihren Kleidungsstücken jedenfalls begeistert: als ein Magazin sie vor kurzem fotografieren ließ, drohten Liquido ernsthaft, die Aufnahmen platzen zu lassen, wenn sie nicht wenigstens die Pullunder behalten dürfen, in denen sie aufgenommen wurden.

Wenn sie jetzt nach Hamburg kommen, haben sie ihre möglichen Nachfolger in der Hitparade gleich dabei: Glow, das ist die Rockgruppe des Sohns von Les Humphries. In ihrem Tourtagebuch im Internet schwärmen Liqudo freundlicherweise auch ein wenig von Glow. Dann aber wenden sich die unbedarften Heidelberger den Dingen zu, die sie mehr interessieren: Im Tourbus dürfen sie ihre Mobiltelefone nicht benutzen (schlecht), nach dem Auftritt in Essen gab es Schnitzel und Pommes (gut).

mit Glow: So, 18. April, 21 Uhr, Große Freiheit