Die Vorschau
: Turbulenzen gegen Grenzen

■ Mit der „pro musica antiqua“ serviert Radio Bremen einen Konzertmarathon mit außereuropäischer Musik

Meist deuten die Schlagzeilen über Radio Bremen auf turbulente politische Hintergründe. Um so mehr freute sich Hörfunkchef Hermann Vinke gestern, daß nun wieder einmal programmatische Inhalte vorgestellt werden konnten. Und die können sich sehen und hören lassen: Der neue Hauptabteilungsleiter Musik, Peter Schulze, stellte in einer Pressekonferenz die diesjährige „pro musica antiqua“ vor, die nunmehr schon seit vierzig Jahren stattfindet. Nachdem Helmuth Schaarschmidt bei diesem Festival jahrelang mit mehr oder weniger großem Erfolg alte europäische Musik präsentiert hat, möchte nun Peter Schulze an die Konzeption des damaligen Hauptabteilungsleiters Hans Otte anknüpfen. Der hatte 1981 angefangen, außereuropäische Musikgruppen einzuladen und dabei insbesondere auf Traditionen gesetzt, bei denen noch eine ununterbrochene Aufführungspraxis herrscht, die zum Teil noch mündlich weitergegeben wird. Das heißt, es handelt sich um eine Musik, die gleichzeitig Vergangenheit und Gegenwart ist. „Der Blick nach Osten ist heute einer der wichtigsten“, so Hermann Vinke.

Der rote Faden für den Marathon von neun Konzerten in vier Tagen ist die Musik weltweiter spiritueller Bewegungen wie die der islamischen Sufis, der christlichen Rosenkreuzer und der jüdischen Chassiden.

Den Anfang macht die Gruppe Tümata mit Sufimusik aus Zentralasien. Hier sind SängerInnen, Tänzer und InstrumentalistInnen beteiligt (22.4., 16 Uhr in der Kirche Unser Lieben Frauen). Der Bulgare Vladimir Ivanoff arbeitet seit Jahren an der Präsentation von „Chansons Médiévales“. Zur Antiqua kommt er erstmals mit seiner Gruppe „L'Orient Imaginaire“ und stellt ein Programm vor, in dem auch Erik Satie Platz hat. Satie interessierte sich für mystische Religiosität, Gregorianischen Choral und gotische Kunst. Seit 1890 war er gar offizieller Komponist der Rosenkreuzer. Mit Spannung darf die Konfrontation von Saties Musik mit der von Musik von Guillaume de Machaut (1300-1377), der die Musik als ein Heilmittel gegen das Schicksal empfand, erwartet werden (22.4., 21 Uhr, Unser Lieben Frauen).

Erstmalig in Deutschland ist Sheik Ahmad Barrayn mit Sufigesängen aus Oberägypten – der absolute Geheimtip von Peter Schulze. Der im Alter von acht Jahren erblindete Sänger hat den Korangesang erlernt, der aber auch poetische Lieder, Legenden und Liebeslieder nicht ausschließt (23.4., 21 Uhr, Unser Lieben Frauen). Wichtig war Peter Schulze, daß die mit solcher Musik verbundene Innenschau auch ihr Pendant hat: Musik, die ans Publikum geht, die sich mitteilen will. Das wird der musikalische Zirkus „Musafir“ aus Rajastan mit dem Programm „Sheherazade erzählt“ tun, indem er neben der Musik Feuerschlucker, Schlangenbeschwörer, Fakire und Schwertschlucker auftreten läßt (23.4., 21 Uhr, Schlachthof).

Lorin Sklamberg schließlich singt jiddische Spirituals aus dem großen Fundus der Nigunim-chassidischen Lieder von ekstatischer Spiritualität. Er wird begleitet vom Trompeter Frank London und dem New Yorker Jazzpianisten Uri Caine (24.4., 16 Uhr, Schauburg). Mit dem Auftritt der Gruppe „Tre Fontane“ wird dann mit „Liedern des Südens“ Musik aus Andalusien und damit gezielt eine Region vorgestellt, in der sich arabische Einflüße durchsetzten und eine neue lebendige und kraftvolle authentische Musik entstand (24.4., 21 Uhr, Unser Lieben Frauen). Drei weitere exklusive Konzerte machen dem Publikum die Wahl zur Qual: Eigentlich darf man nichts versäumen. Mit Pappu Sain kommt ein Sufitrommler nach Bremen, der in Pakistan eine anerkannt mystische Person ist (24.4., 24 Uhr, Schauburg). Und der 80jährige jüdische Kantor Estrongo Nachama singt neben synagogalen Gesängen auch chassidische Lieder (25.4., 16 Uhr, Unser Lieben Frauen). Der marrokanische Countertenor Emil Zhrihan hat sich auf die Musik nordafrikanischer Juden sowohl in hebräischer als auch in arabischer Sprache spezialisiert (25.4., 21 Uhr, Unser Lieben Frauen). Das alles, so Peter Schulze, kann man nicht über Tonträger kennenlernen: Der Problematik des Transportes religiöser Kulturen ist er sich gleichwohl bewußt. Insgesamt ein Festival von weit überregionaler Bedeutung. usl