Von der Einsamkeit des Psychopathen

■ Groteske, Tragödie, Thriller: Philippe Haims Film „Barracuda“

„Delicatessen“ von 1990 ist eine skurrile, bösartige Komödie über ungewöhnliche Nachbarschaften und was hinter verschlossenen Türen so alles passieren kann. Satte, oft an der Grenze zum Ekel arrangierte Bilder und gemeine Details lassen aber nicht vergessen, daß der Film eine ironische und ungefährliche Satire über das Zusammenleben ist.

In „Barracuda“, 7 Jahre später wiederum von einem französischen Regisseur (Philippe Haim) inszeniert, wird auf „Delicatessen“ noch eins draufgesetzt. Der Nachbar, um den es geht, sitzt wie eine unauffällige, aber blitzgefährliche alte Spinne in seinem Nest und lauert auf Beute. Jean Rochefort, dessen hageres Gesicht auf den ersten Blick zwar wunderlich, aber harmlos und realitätsfern erscheint, eben das Gesicht, das als „Mann der Friseuse“ verträumt und verklärt die Liebe sucht und findet, nimmt als Monsieur Clément die Gelegenheit wahr, seinen neuen Nachbarn Luc (Guillaume Canet) besser kennenzulernen: Er lädt den jungen Comiczeichner zum Essen ein, macht ihn zu dessen Entsetzen mit seiner Frau, einer Gummipuppe mit Perücke, bekannt, und – bums! – die Falle ist zugeschnappt. Luc wird seiner Nemesis fortan nicht mehr entkommen – als Luc erschrocken das Weite suchen will, nimmt Clément ihn gefangen, schlägt ihn brutal bewußtlos, malträtiert ihn mit Steptanzeinlagen und sperrt ihn in Ketten in eine fensterlose kleine Zelle hinter seinem Bücherschrank. Der Reigen beginnt.

Eine Grausamkeit ohne Schnörkel wollte der junge Regisseur in seinem ersten Film inszenieren, eine Grausamkeit, deren Wesen „aus der Einsamkeit geboren wird“. Heraus kommt ein merkwürdiges Kammerspiel, das stets zwischen Groteske, Tragödie und Thriller schwankt. Der Protagonist Jean Rochefort, der gerade einen César für sein Lebenswerk einheimste, spielt Monsieur Clément als einen perfiden alten Mann, dessen Marotten – die Liebe zu seiner toten Frau und Fred Astaire – zu einem Lebenswerk ausgewachsen sind.

Überraschend ist die Konsequenz, mit der die groteske Bösartigkeit des Alten durchgespielt wird. Eingebettet in überwältigend bunt komponierte Bilder voller absurder Details, wird hier eine neue, ungewöhnliche Art von Grausamkeit zelebriert – die des Einsamen. Ein bißchen erinnert der alte Steptanzfan an Psychopathen wie Anthony Perkins in „Psycho“ oder das alte Satanistenpaar aus „Rosemary's Baby“, die Nachbarn mit dem tödlichen Tick. Überhaupt hat Roman Polanski mit seinen Wohnungsfilmen („Ekel“, „Der Mieter“) vorgegriffen, was Regisseur Haim, der auch die schaurig-schöne Swingmusik des Films komponierte, hier in elegant französischer Manier beschreibt. Jenni Zylka

„Barracuda – Vorsicht Nachbarn!“, F 97, Regie: Philippe Haim, 94 Min. Vom 15. 4. bis 21. 4., Eiszeit 1, Hackesche Höfe 2, Filmkunst 66 und New York