Kompliziertes HipHop-Knäuel

Es geht um gescheiterte Liebe und aussichtslose Situationen. Auf einer Berliner Tagung wehren sich französische, russische und deutsche HipHopper gegen ihre Vereinnahmung  ■   Von Tobias Rapp

Der echte HipHop? In kaum einer anderen Jugendkultur ist so umstritten, was echt ist und was nicht. Der, der am längsten dabei ist? Der, der am meisten kann? Der, der sich der Industrie verweigert? Der mit den richtigen Klamotten?

Der einzige bei der Tagung „HipHop zwischen Jugendbusiness und Jugendarbeit: Orientierung oder Vereinnahmung einer Rebellion“, der damit kein Problem hat, ist Jean Weinfeld, der Organisator. Genau wie jeder aufrechte HipHopper dankt er zu Beginn der Veranstaltung seiner Mutter. Nur: Weinfeld ist nicht Anfang Zwanzig, sondern Mitte Vierzig.

Für alle anderen ist das ein Problem. Rund zwei Dutzend Jugendliche aus Frankreich, Rußland und Berlin haben sich in der Kulturbrauerei in Bezirk Prenzlauer Berg versammelt, um ihn zu finden, den echten HipHop. Denn diese Musik steht nicht nur in dem Ruf, besonders politisch zu sein. HipHop ist mehr als nur eine Musikrichtung, es ist ein ganzer Lebensstil. Inklusive diverser Unterabteilungen wie Breakdance, Graffiti und des Bestehens auf größtmöglicher persönlicher Autonomie.

Veranstaltet wird die Tagung vom Berliner Forum für Philosophie und Kunst „die werkstatt“ in Zusammenarbeit mit dem HipHop-Mobil Berlin, dem Sozialzentrum Sain-Mauron-Bellevue aus Marseille und dem Institut des Jugendlichen, St. Petersburg. Seit Samstag sind die Franzosen und Russen in Berlin, haben sich bei einer Stadttour mit HipHop-Schwerpunkt die Wände mit den besten Graffiti angeschaut, die halls of fame, und zusammen gejammt haben sie auch schon.

Die zweitägige Tagung ist der Kern des ganzen Zusammentreffens, das eine Woche dauern wird und als erster Teil einer dreijährigen Reihe gedacht ist, die die Gruppe auch nach Petersburg und Marseille führen soll. Eine Reflexion über die HipHop-Bewegung soll es werden, mit Vorträgen und einem Austausch darüber, ob man denn da eigentlich an einem ähnlichen Projekt arbeitet und was das denn eigentlich ausmacht. Tatsächlich ist es dann streckenweise eher eine Groteske.

Wenn etwa der Berliner Journalist Marcus Staiger sagt, der echte HipHop sei von einer „feindlichen Übernahme“ durch Sozialarbeiter auf der einen und die Plattenindustrie auf der anderen Seite bedroht. „Beide interessieren sich nicht für die Geschichte und Kultur.“ Das ist eine Debatte, die seit Jahren erledigt schien, in Berlin geht dieser Tage die Uhr wieder rückwärts. Daß Staiger fast alle Behauptungen seines Vortrags in der Diskussion zurücknehmen muß, hindert ihn freilich nicht, später darauf zu bestehen, alle Subventionen müßten gestrichen werden, nur so könne sich das Beste durchsetzen. Da sagen sich Undergroundideologie, Überheblichkeit und Sozialdarwinismus gute Nacht. Eigentlich vernünftige Ideen, wie die, Sozialarbeiter sollten doch Busineß-Kurse anbieten, damit man wisse, wie man für sich das Beste herausholen könne, wenn man sich schon verkaufen müsse, treten in den Hintergrund.

Auf der Suche nach dem wahren HipHop kann man sich schon mal verirren, wenn man nur nicht vom rechten Weg abkommt. Das ist ein kompliziertes Knäuel, was sich da im Laufe der Diskussion verknotet. Vertreter der reinen Undergroundlehre, Basiskulturarbeiter und Polit-Rap-Aktivisten versuchen sich über ihre Sicht auf HipHop zu verständigen und scheitern dabei nicht nur an den sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten. Für alle ist HipHop eine Lebenseinstellung, doch für den einen gilt dies nur, wenn es politisch unterfüttert ist, für den anderen ist das unwichtig, und demdritten geht es vor allem darum, sich wichtig zu machen. Und mittendrin die russische Gruppe, die ohnehin nicht versteht, was das für merkwürdige Probleme sind. Alle arbeiten sich an ihren Popmythen ab, und der Mythos „Ich Underground – darum gut, alle anderen Ausverkauf – böse“ ist schon so lange popkulturell tradiert, daß er zu einer mächtigen Instanz geworden ist. Mächtig genug jedenfalls, sich nicht wirklich zuzuhören.

So reicht es Ethem von der Berliner Gruppe Kanaks with brain, daß die Russen sagen, sie würden keine aggressiven Texte machen, um ihnen vorzuwerfen, sie würden den herrschenden Bedingungen nichts entgegensetzen: Im Grunde genommen hätten sie Rap nicht verstanden. Rap habe nämlich eine 600jährige Geschichte von den Sklavengesängen bis heute, und die handle vor allem davon, zu kämpfen – wer das nicht tue, der habe schon verloren. Das alles sagt er, ohne einen einzigen Song-Text der Russen übersetzt bekommen zu haben. Jean Weinfeld glättet die Wogen etwas. Man sei hier nicht in der Kirche. Den richtigen Weg gebe es nicht.

Ethem schränkt seine harsche Kritik später auch ein. „Wenn es denen so schlecht geht, daß die uns um unsere Ausstattung beneiden, dann sollen sie was dagegen tun. HipHop geht um die gescheiterte Liebe oder die gescheiterte Lage.“ So weit ist man dann doch nicht auseinander. Vorläufig antworten jedoch die Russen. „Der aggressive Text kommt zurück und erschießt dich“, sagt einer von ihnen. Natürlich seien die Texte rebellisch, aber „der Regierung sind wir sowieso egal“ – spricht's, spuckt auf den Boden und schweigt den Rest des Nachmittags.

Die schlimmen Bedingungen in Rußland können nun die Franzosen nicht auf sich sitzenlassen: Es gehe um Solidarität. „Frankreich hat schon eine Revolution exportiert! Deshalb sind wir hier.“ Die Russen seien es dem Rap schuldig, auch in Rußland aufzustehen. Und so geht es hin und her. Allerdings schleppend, mit Übersetzungspausen und Mißverständnissen. Da wird aus Africa Bambaata, dem Godfather des HipHop, schon mal ein Franzose. Der einzige, der alle drei Sprachen perfekt beherrscht und immer wieder reihum trilingual übersetzt, ist MC Jean Weinfeld selbst.

Und trotz aller Mißverständnisse macht die Veranstaltung für alle Sinn. Spätestens als sich alle darauf einigen, daß sie mit Gangster-Rap nichts am Hut haben. Die Deutschen sowieso nicht, die Russen, weil solche Inhalte schon in anderen russischen Liedformen aufgehoben seien, und die Franzosen, weil das zu oberflächlich und amerikanisch sei. Abschlußparty East meets West, Freitag, 20.30 Uhr, „Die Insel“, Alt-Treptow 6