■ Ein Spion soll Bombenziele der Nato an Serbien verraten haben
: Held der westlichen Wertegemeinschaft

Früher war die Welt in zwei Blöcke aufgeteilt, Schwarz und Weiß. Gut und Böse waren klar erkennbar. Wer für die andere Seite spionierte, schadete der eigenen Sache und nutzte dem Gegner. Heute ist fast alles anders. Die Nato bombt nicht aus geostrategischen Interessen, nicht weil es um Öl, materielle Interessen und Einflußsphären geht, sondern aus, wie es heißt, humanitären Gründen. Nebenbei wird natürlich auch die neue Rolle der Nato austariert, der 1989 mit dem vertrauten Feind auch die Gewißheit über die eigene Existenz abhanden kam.

Im postmodernen Krieg geht es stets auch um die moralische Lufthoheit, um Flüchtlingsströme, die es zu kanalisieren gilt, um Auseinandersetzungen zwischen vollkommen unterschiedlichen Waffentechnologien und nicht zuletzt darum, das Gesicht zu wahren. Und Bilder werden dabei zu einem Teil der Kriegführung. In dieser unübersichtlichen Gemengelage ist auch der Verrat nicht mehr, was er einmal war. Der Spion, den die Nato in den eigenen Reihen vermutet und der Serbien über Bombenziele informiert haben soll, schadet der Nato keineswegs. Im Gegenteil: Er hat dafür gesorgt, „Kollateralschäden“ (so heißt das hübsche Nato-Wort für unbeteiligte Opfer der Luftangriffe) zu minimieren. Er versucht zu verhindern, daß das Bombardement, das in eine politische Sackgasse geführt hat, auch zu einem moralischen Desaster für die Nato wird.

Die Nato ist ihrem Gegner waffentechnologisch maßlos überlegen. Ist es da nicht naheliegend, den Gegner in die Lage zu versetzen, Brücken und Häuser, die man in Schutt und Asche legt, vorher zu evakuieren? Und zwar nicht nur aus humanitären, sondern auch aus PR-Gründen?

Die Bilder von toten serbischen Zivilisten erschüttern die ohnehin schwankende Legitimation der Nato-Bomben. Denn sie dementieren die Fiktion vom sauberen chirurgischen Krieg, die die Nato-Pressesprecher gebetsmühlenhaft wiederholen. Das Bild des ausgebrannten, von Raketen zerstörten Zugwracks ist für die Nato bedrohlicher als die gesamte serbische Luftabwehr.

Dieser Spion ist „eine gewaltige politische Schlappe für den Westen“, heißt es grimmig in Brüssel. Aber das sind Logik und Sprache von vorgestern. Wenn man dem Spion etwas vorwerfen will, dann, daß er zuwenig verraten hat. Dieser Spion ist ein Held der westlichen Wertegemeinschaft. Wenn er nicht existiert – die Nato müßte ihn erfinden. Stefan Reinecke