Algeriens Wahl ist entschieden

Einen Tag vor der Abstimmung ziehen sich alle sechs Oppositionskandidaten zurück. Begründung: Wahlbetrug. Übrig bleibt der Kandidat der Militärs  ■ Aus Algier Reiner Wandler

Wenige Stunden vor den algerischen Präsidentschaftswahlen haben gestern sechs der sieben Kandidaten ihre Kandidatur zurückgezogen. Der Staatsapparat bereite einen massiven Wahlbetrug zugunsten des eigenen Kandidaten Abdelaziz Bouteflika von der Regierungspartei Nationale Demokratische Sammlung (RND) vor, begründeten sie ihren Schritt. Zuvor hatten die sechs Oppositionskandidaten ein Dringlichkeitstreffen mit dem scheidenden Staatschef Liamine Zéroual verlangt. Der lehnte ab.

Es gebe keinen Grund für eine Audienz, antwortete der ehemalige General in einem am Mittag veröffentlichen Kommuniqué. „Das Gesetz bietet den Kandidaten ein ganze Reihe von rechtlichen Möglichkeiten.“ Beispielsweise die einer Beschwerde beim Verfassungsrat. Allerdings müßten dafür Beweise vorliegen. Er sei jedoch sicher, daß die Abstimmung fair verlaufen werde. Am Nachmittag versammelten sich daraufhin die sechs im Sitz der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) von Kandidat Hocine Ait Ahmed, um über ihre Reaktion zu beraten.

Vier der sechs Kandidaten – neben Ait Ahmed, der ehemalige Premierminister und Erneuerer Mouloud Hamrouche und die beiden Islamisten Ahmed Taleb Ibrahimi und Abdallah Djaballah – hatten sich im Laufe des Wahlkampfes bereits mehrmals getroffen um über ein gemeinsames Vorgehen zu beraten. Der Veteran des Unabhängigkeitskrieges, Joussef Khatib, und der Vertreter des Minderheitsflügels der Regierungspartei RND, Mokdad Sifi, schlossen sich der Gruppe erst vor zwei Tagen an.

„Der Betrug hat bereits begonnen“, hieß es in einer am Dienstag abend von den sechs veröffentlichten Erklärung. Die Opposition beschwert sich über die Behinderung ihrer Beobachter bei der Überwachung der mobilen Wahllokale im dünnbesiedelten Süden des Landes und in den Kasernen der Gendarmerie, Polizei und Armee. 750.000 Kasernierte begannen bereits am Dienstag mit der Abstimmung, um am heutigen Wahltag die Wahllokale im ganzen Land bewachen zu können.

Die Opposition will außerdem einen Plan für einen massiven Wahlbetrug zugunsten von Bouteflika – des Kandidaten von Staat und Armee – aufgedeckt haben. „Die erste Phase bestand darin, in den letzten Tagen in allen Provinzen die Wahlzettel auszuliefern. Dabei wurden bis zu 25 Prozent mehr mit dem Namen des Kandidaten des Staatsapparates ausgeliefert“, heißt es in dem Schreiben der sechs. Sie sollten dazu dienen, die Urnen in eigens ausgewählten Lokalen bereits im voraus zugunsten Bouteflikas zu bestücken. Damit dies ungestört vonstatten gehen könne, seien die Beamten von Polizei und Armee, die die Wahllokale bewachen, angewiesen worden, Wahlbeobachter der anderen Parteien durch „strenge Kontrollen“ am rechtzeitigen Betreten der Wahllokale zu hindern. Erst einmal zu spät gekommen, sollte ihnen ein Blick in die Urnen mit dem Verweis auf das Wahlgesetz und der Intimität der Wähler verweigert werden.

Ein zweiter Schub von Wahlzetteln sollte später nachgelegt werden. Dazu seien an manchen Orten Agenten abgestellt worden „um mehr oder weniger schwere Zwischenfälle zu provozieren“, die ein ungestörtes Öffnen der Urnen ermöglichen sollten.

Bereits am Dienstag hatte der Vorsitzende des Unabhängigen Wahlrates (CNISEP) Mohammad Bedjaoui die Klagen der Opposition und der Unabhängigen Presse über Unregelmäßigkeiten in den Kasernen und den fahrenden Wahllokalen zurückgewiesen: „In keinem Land der Welt gibt es hundert Prozent saubere Wahlen“, erklärte der Jurist, der zur Zeit das Amt des Präsidenten des internationalen Gerichtshofes in Den Haag bekleidet. „Ein gewisses Maß von Unregelmäßigkeiten“ sei tragbar, „solange der Sinn des Willens der Wähler nicht verfälscht wird.“