„Wir stecken wirklich in einem Dilemma“

■ Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der Union, über Rußland und die Friedenstruppe

taz: Herr Lamers, es hat in den letzten Tagen Mutmaßungen darüber gegeben, inwieweit die Abgeordneten das Rambouillet-Abkommen und den Annex B, der die Implementierung von Nato-Truppen vorsieht, informiert waren. Haben Sie als einer von fünf Bundestagsabgeordneten des Auswärtigen Ausschusses, die Kopien der Verträge am 24. Februar erhalten haben, das Abkommen gelesen?

Karl Lamers: Ich habe beides, das Interim-Abkommen und den Annex B, durchgelesen. Ich füge aber zugleich hinzu, daß ich dem Annex B keine allzugroße Bedeutung beigemessen habe, weil die jugoslawische Seite eine Stationierung von Nato-Truppen zur Absicherung eines Abkommens im Kosovo abgelehnt hat. Ich füge aber auch hinzu, daß die albanische Delegation das Abkommen samt Annex B unterschrieben hat, weil sie sicher war, daß die jugoslawische Seite nicht bereit war, das Abkommen zu unterschreiben. Die Serben sahen in der Stationierung den ersten Schritt zur Abtrennung des Kosovo aus dem jugoslawischen Bund.

Der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer weist auf einen Widerspruch hin: Am 26. Februar hat der Bundestag dem Antrag der Bundesregierung zugestimmt, in dem es heißt, im Rambouillet-Abkommen würden die Konfliktparteien der Entsendung einer Friedenstruppe von Nato- und Nicht-Nato-Staaten im Kosovo zustimmen. Im Annex B war zum selben Zeitpunkt nur von Nato-Truppen die Rede.

Das war für unsere Fraktion allerdings kein Problem, weil Annex B doch nur als Statthalter für ein auch mit der serbischen Seite noch zu vereinbarendes Annex B angefügt war. Wir sind aber der Auffassung, daß ohne eine klare Kommandostruktur, die nur durch die Nato hergestellt werden kann, sich Deutschland nicht an einer solchen Mission beteiligen sollte.

Kann Rambouillet noch gelten?

Die Lage hat sich geändert. Auch die Nato spricht jetzt nicht mehr von Nato-Truppen, sondern von internationalen Friedenstruppen zur Absicherung eines Friedensabkommens. Hier müssen wir Rußland einbeziehen.

Sie waren kürzlich in Moskau. Wie hat man dort reagiert?

Wir stecken wirklich in einem Dilemma, was ich meinen Gesprächspartnern in Moskau auch erklärt habe. Wenn wir einerseits Rußland einbeziehen, darf die Schutztruppe nicht allzu sehr auf die Nato zugeschnitten sein. Andererseits muß im Kern die Nato die Überwachung im Kosovo übernehmen, weil ansonsten die Funktionsweise der internationalen Friedenstruppe im Kosovo nicht sichergestellt wäre. Was technisch unsicher ist, würde uns politisch irgendwann auf die Füße fallen. Das ist keine Anti-Rußland-Haltung, von der ich wirklich frei bin, sondern eine objektive Schwierigkeit. Mit gutem Willen müßte aber eine Lösung möglich sein, zumal sie für die SFOR in Bosnien auch gefunden wurde.

Hätten Sie, wäre die Union an der Regierung, in diesem Konflikt anders gehandelt?

Ich glaube nicht. Wobei ich einschränkend hinzufüge, daß ich als Oppositionsmitglied die Standpunkte der Beteiligten auf internationaler Ebene, etwa in der Nato, im einzelnen nicht kenne. Die Frage lautet aber im Kern, ob man nach dem Scheitern von Rambouillet sofort mit den massiven Bombardements hätte anfangen sollen. Andererseits hat die Nato wahrscheinlich vor Rambouillet zu lange gezögert. Im nachhinein ist man immer klüger.

Sie hätten mit den Angriffen gewartet?

Ich will in dieser schwierigen Situation nicht rechthaberisch sein. Nachbetrachtungen fallen Außenstehenden immer leichter. Ich sehe aber das deutliche Bemühen der Bundesregierung, den Konflikt mit neuen diplomatischen Initiativen zu beenden.

Ihr Kollege Volker Rühe hat den Einsatz deutscher Bodentruppen als rote Linie bezeichnet, die nicht überschritten werden darf. Ist das nicht eine sehr gewagte Festlegung?

Wir alle sind von der Sorge getragen, daß wir in einen Konflikt hineingezogen werden, bei dem es zum Einsatz von Kampftruppen kommt. Da gibt es viele historische Beispiele. Daher ist es richtig, daß die Grenze, bis zu der wir gehen, klar markiert wird. Wenn Sie die Überlegungen der Nato verfolgen, dann wird deutlich, daß der Preis für den Einsatz von Bodentruppen beträchtlich ist. Der Aufbau einer 100.000-Mann-Truppe dauert Wochen. Technisch ist das sicherlich machbar. Nur: Wer soll die Soldaten stellen? Aus taktischen Gründen mit Bodentruppen zu drohen, halte ich für sehr theoretischer Natur, weil Herr Miloevic weiß, daß es eben rein theoretischer Natur ist. Er weiß wie wir, daß in demokratischen Wohlstandsgesellschaften ein Einsatz von Bodentruppen politisch sehr schwer durchzusetzen ist. Interview: Severin Weiland