Schreie aus der Stille

■ Noch mehr Shakespeare in der Company / Diesmal: „Die Schändung der Lucretia“ als dramatisierte Lyrik

Langsam wird es doch etwas erbsenzählerisch. Noch den Widerhall des letzten Rülpsers Eures verehrten William werdet Ihr von der Bremer Shakespeare Company mittels computergestützten Analyseverfahren aus dem atmosphärischen Grundrauschen herausfiltern. Und selbst wenn William nicht mal selbst gerülpst hat, werdet Ihr eine Inszenierung daraus machen. Eure Liebe zur Vollständigkeit und somit zur Aufführung möglichst des kompletten Shakespeare-Werkes ist einfach bemerkenswert. Jetzt habt Ihr eine weitere Rarität ins Bühnenlicht gesetzt. Verhandelt wird nach den „Sonetten“ vor ein paar Jahren wieder etwas Lyrisches: Die Geschichte einer Vergewaltigung namens „Die Schändung der Lucretia“, deren Bühnenumsetzung – Bätsch und Überraschung: – aber durchaus beachtlich ist.

In dem königsdramatisch angelegten Verswerk verbirgt sich so etwas wie Aufklärungslyrik des ganz frühen 17. Jahrhunderts. Nicht die verwelkte Blume soll man schelten, Vielmehr den Winter, der sie welk gemacht; Nur dem Zerstörer darf der Tadel gelten, Nicht dem Zerstörten frauenrechtlerte Shakespeare (oder wer auch immer) laut neuer Company-Übersetzung durch Friedrich Bodenstedt in Vers 180 der Dichtung. Dieser und die anderen Verse erzählen die Geschichte der Vergewaltigung Lucretias durch (König) Tarquinius. Lust treibt ihn nach Shakespeare erst hin und Reue dann weg von ihr. Lucretia bringt sich nach längerer Rede um vor Scham und Schuldgefühlen. Auch Tarquinius muß schließlich dran glauben. Und man fragt sich beim Lesen (oder Hören) der erwähnten, bei der Company zu Pro- und Epilog gewordenen Zeilen aus Vers 180, welchen Eindruck sie wohl damals gemacht haben müssen. Daß sie 400 Jahre alt sind und das Gleichnis von der Maria Magdalena noch viel älter, widerlegt jeden Gedanken an einen Fortschritt jedenfalls. Andererseits ... Doch der Reihe nach!

Anfangs thront Lucretia da auf der leeren Bühne, die Gabriele Keunecke zusammen mit Bernd Wolf am Licht mit ein paar Seilen, einer Plastikwanne und einer sehr wirkungsvollen Beleuchtungsführung eingerichtet hat. Tarquinius tritt aus dem Dunkeln, das immer mal wieder von der Stimme eines Countertenors, Musik und Geräuschen erfüllt wird (Kompositionen etc.: Lou Simard). Lucretia und Tarquinius (Sylvia Kühn und Peter Pearce) geben sozusagen Doppelrollen: Ihre Körper spielen die Geschichte, ihre Stimmen aber berichten mit Ausnahme weniger Szenen aus der Distanz der Erzählform. Das ist mit kleinen Einfällen versehen, wenn Tarquinius mit der rechten Hand Feuer spucken kann und aus der linken ein Blümchen zaubert. Insgesamt bleibt das Nebeneinander von Dramatisierung im Spiel und Chronikhaftem im Rezitieren über 75 Minuten Gesamtspieldauer durchaus in der Balance. So weit so gut. So weit so dürftig.

Denn andere als die laut Programmheft zu dritt aufgeführten Bearbeiter Kühn, Pearce sowie der Regisseur Markus Fennert hätten mehr Funken aus dem Stück geschlagen. Man kann bekanntlich eine Figur auch an ihrem Text erstaunen lassen, das Gesprochene noch durch wortlose weitere Ebenen ergänzen. Das müßte vor allem nach der Vergewaltigung geschehen. Shakespeare läßt Lucretia darüber grübeln, daß es die „Gelegenheit“ ist, die Männer (hier mal unverblümt) zu Vergewaltigern macht. Die Grübelei ist (auch in neuer Übersetzung) schön formuliert, aber pure Fetischisierung. Die schreit nach gestischen und mimischen Brüchen. Doch das Trio ist dazu nur äußerst selten in der Lage. So bleiben die schöne Sprache für das üble Geschehen, eine akzeptable Inszenierung und eine weitere Erbse unterm Bett der Bremer Shakespeare Company.

Christoph Köster

Aufführungen: 16. und 28. April, 2., 8. und 16. Mai um 19.30 Uhr