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Ansichten der seltenen Art

■ Restauriertes und Verfallenes: Am Denkmalstag zu sehen Von Oliver Fischer

Verlassen steht sie da, die Englische Kirche am Zeughausmarkt im Schatten des Michel. Von den Tausenden von Autofahrern, die sich täglich über die Ludwig-Erhard-Straße an ihr vorbeiwälzen, interessiert sich kaum einer für den klassizistischen Bau, dessen Restaurierung jetzt beendet ist. Und selbst wenn es einer täte, er käme gar nicht rein. Verlassen, vergessen, verschlossen – so sieht es bei vielen der über 1000 denkmalgeschützten Objekten in Hamburg aus.

Wenigstens einmal im Jahr soll das jetzt aber anders werden: Zum „Tag des offenen Denkmals“ öffnen am morgigen Sonntag 20 selten zugängliche Bauwerke ihre Pforten; Führungen und Ausstellungen bringen ihre Geschichte den BesucherInnen näher. Hervorgegangen ist dieser – inzwischen bundesweit veranstaltete – Denkmaltag vor drei Jahren aus einer Initiative des „Vereins der Freunde der Denkmalpflege“. Sie will die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt an kulturhistorischen Kleinodien lenken und gleichzeitig durch Geldspenden oder ehrenamtliche Mitarbeit zum Erhalt der Denkmäler beitragen.

Die Ausgewogenheit des Programms ließe Proporz-Politiker vor Neid platzen: Von Niendorf bis Harburg, von Blankenese bis Bergedorf gibt's überall was zu besichtigen; über das Stadtgebiet verteilt finden sich Bürgerhäuser und Fabriken, Gräber und Gärten, bereits Restauriertes wie das Warburg-Haus und halbverfallene Objekte wie das Meridiangebäude der Sternwarte.

Oder auch eine Bücherhalle. Vor drei Jahren noch mußte vor der Fassade der Öffentlichen Bücherhalle Kohlhöfen in der Neustadt ein Gerüst aufgebaut werden, um Passanten vor Steinschlag aus dem morschen Gemäuer zu schützen. Inzwischen sitzt in der Backsteinfassade mit ihren geschwungenen, leicht barocken Formen wieder jeder Stein an seinem Platz. Auch bei der Restaurierung des Lesesaals hat man sich – trotz Einzugs der EDV – bemüht, den Originalzustand von 1909 zu erhalten. Der inzwischen funktionslos gewordene Katalog, im Unterschied zu herkömmlichen Zettelkästen kreisrund, durfte stehenbleiben, effektvoll in der Mitte des Saales unter dem ebenfalls runden Dachfenster. An der Stirnseite des Raumes zeigt das erhöhte Auf-seherpult, daß im wilhelminischen Staat auch der lesehungrige Bürger nicht mehr war als nur ein Untertan.

Offen stehen aber auch die Türen von Industrie- und Gewerberäumen: die Maschinenfabrik am Uhlenhorster Goldbekplatz, die ehemalige „New-York Hamburger Gummiwaaren-Fabrik“ in Barmbek, in die das Museum der Arbeit eingezogen ist, oder das Asia-Haus an der Ost-West-Straße mit seinem pompös gefliesten Jugendstil-Treppenhaus. „Wir verstehen uns als Ergänzung dort, wo die staatliche Förderung an ihre Grenzen stößt“, erklärt Helmuth Barth, Vorsitzender des Denkmalpflegevereins. Und so ist die finanzielle Bilanz für die private Denkmallobby zwar ehrenvoll, für die Stadt aber dürftig: 5,5 Millionen Mark spendeten Sponsoren und Stifter im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre; der staatliche Denkmalpflegeetat der Kulturbehörde hingegen beträgt gerade mal schlappe 1,8 Millionen. Da man davon keine großen Sprünge machen kann, steht der diesjährige Denkmalgedenktag auch unter einem gut hanseatischen Motto: „Restaurierung und Mäzenatentum“.

Programmhefte liegen in Museen, Bücherhallen und Bezirksämtern aus. Infos unter Tel. 34 42 93

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