„Diese Stadt ist einfach nicht neugierig“

■ Hamburger Konzertveranstalter über ihr Publikum, Eintrittspreise, Programmpolitik, Geld und Krawall

Die Konzertszene Hamburgs ist vom Angebot her immer noch eine der vitalsten der Welt. Doch kaum einer weiß, wie dieses Angebot zustande kommt und mit welchen Problemen die Veranstalter zu kämpfen haben. Bei einem Roundtabel in unseren Redaktionsräumen äußerten sich Vertreter von Clubs und Agenturen zum Hamburger Musikangebot. Beteiligt waren Mücke Quinckhardt (Programmbüro Fabrik), Raj Sen Gupta (Presse bei den Konzertagenturen Karsten Jahnke und Scorpio), Florian Braunschweig (Programmbüro Kir), Holger in't Veld (Programmbüro Markthalle) und Helmut Hoyer (Veranstalter bei freestyle)

taz: Welches Resumée zieht ihr aus der letzten Konzertsaison?

Raj Sen Gupta: Finanziell war es, wie wohl bei allen, nicht so doll.

Mücke Quinckhardt: Aber auch nicht besonders schlecht. Abhängig vom Wetter und vom Angebot gibt es einfach Monate, die nicht laufen. Diese Stadt hat aber eine große Krux: sie ist einfach nicht neugierig. Es ist immer wieder schwer, hier Neues zu bringen, es sei denn, der Medienmarkt ist voll dahinter. Das beste Beispiel ist Michel Petrucciani. Seit er bei Willemsen auftritt, sind die Konzerte ausverkauft, obwohl der schon seit 15 Jahren die gleiche Musik macht. Da die Menschen hier offensichtlich etwas schwerfällig sind, lebt unser Programm von Wiederholungen, denn wenn du sie einmal hast, sind sie ganz treu.

Gupta: Alleine mit einem guten Live-Ruf kann man, im Gegensatz zu früher, nichts mehr anfangen.

Nach was für Faktoren entscheidet ihr dann, wen ihr zu welchen Konditionen nach Hamburg holt?

Gupta: Das hängt vor allem davon ab, welcher Act von den Konzertagenturen angeboten wird. Man schaut dann, ob das machbar ist, d.h. im schlechtesten Fall, ob sich der Verlust in Grenzen hält.

Quinckhardt: Die finanzielle Entscheidung ist immer eine der wichtigsten. Wenn es etwa die Tanz-Nächte nicht gäbe, würden andere Bereiche wie Jazz, der sich hartnäckig auf einem hohen Finanzlevel hält, überhaupt nicht mehr stattfinden. So wird dann eine Mixtur zum Programm. Nach dem zweiten Verlust überlege ich mir aber, ob es denn einen neuen musikalischen Grund gibt, das dritte Mal 1500 Mark zu verlieren.

Wie wichtig ist die corporate identity für einen Club? Inwieweit schränkt ein bestimmter Ruf ein?

Holger in't Veld: Die corporate identity der Markthalle hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Im Vergleich zur Fabrik ist die Markthalle ein schnellebiger Laden, hat aber kein Stammpublikum, weil es von Grindcore bis Brian Eno alles geben kann. Meine Versuche, Jazz zu etablieren, sind bisher durch die Bank gescheitert, weil die Leute, die sich für Jazz interessieren, seit Ewigkeiten kein Markthallen-Programm mehr in die Hand genommen haben.

Der Ruf der Markthalle lebt noch sehr stark vom Programm, das mein Vorgänger Andreas Schnoor gemacht hat, mit Nirvana und den ganzen Folgeerscheinungen. Dort hat sie ihre Kontur her, die MTV-Kultur zu repräsentieren. In dem Maße aber, wie Hip Hop, Metal oder Grunge uninteressant oder mainstreamig werden, verläßt diese Kultur die Markthalle – muß sie sogar verlassen, weil es kaum Neues in dem Bereich gibt. Deshalb würde ich gerne mehr elektronische Musik etablieren, oder Jazz.

Florian Braunschweig: Wir im Kir machen nur wenige Konzerte neben den vier Disco-Tagen. Deshalb gibt es kein Stammpublikum und kaum eine Identität.

Helmut Hoyer: Für kleine Clubs wie das Lounge braucht man nach meinen Erfahrungen eine corporate identity, um überhaupt auf Dauer Publikum zu halten. In Clubs mit einem Fassungsvermögen von 150 bis 200 Leuten geht nichts ohne ein stringentes Programm.

Braunschweig: Um so etwas aufzubauen, muß man aber mehr machen als wir. Weil wir keine P.A. haben und so die Unkosten sehr hoch sind, können wir es uns nicht leisten, viele Konzerte zu machen. Außerdem ist mir das zu stressig. Da ich mit der Gitarrenpop-Szene verbunden bin, gibt es aber naturgemäß viele Konzerte aus diesem Feld. Jedoch interessiert sich im Moment kaum jemand für englische Bands unter einem Hype-Level wie Boo Radley.

Hoyer: Für kleinere englische Bands ist es fast aussichtslos. Selbst wenn du in Hamburg einen Club findest, gibt es anderswo keine Auftrittsmöglichkeit, damit es sich lohnt, sie rüberzuholen.

Welchen Einfluß haben die großen Raves auf die Live-Szene?

Gupta: Wenn man bei den 2-3-Tage-Raves zusammen mit Red Bull gut 150 Mark ausgibt, fehlt das Geld natürlich anderweitig. Bei Preisen von 35 bis 40 Mark für große Konzerte muß der Zuschauer genau prüfen, ob er das Geld hat.

in't Veld: Ich sehe da weniger einen Krieg der Großveranstaltungen, sondern daß den Kleinveranstaltern das Fundament abgezogen wird. Unsere kleine Halle, das MarX, läuft seit Jahren defizitär, weil zu wenige unbekannte Bands für 15 Mark ansehen wollen.

Kann man überhaupt ein avanciertes Musik-Programm ohne Subventionen machen?

Hoyer: Sachen wie die Jazz-Poetry-Reihe können wir nur mit British Council machen.

in't Veld: Ohne Subventionen geht nichts, es sei denn, du hast nur Auftritte mit einem glücklichen Zusammentreffen von Charts-Plazierung und Medienpräsenz.

Quinckhardt: Auch Reihen funktionieren nicht so wie etwa in Berlin. Bei „Laut & Luise“ haben wir zwar schnell 200 Leute gefunden, die informiert werden wollten, aber nur ein Bruchteil davon kam auch zu den Konzerten.

Welche Möglichkeiten haben dann kleine Bands noch?

Gupta: Sie müssen sich einkaufen. Das ist Politik der Plattenfirmen, wenn sie einen neuen Act aufbauen wollen, packen sie den drauf – ob es paßt oder nicht.

Hoyer: Deshalb sind Support-Bands meist bei Major-Firmen.

in't Veld: Manche Konzertagenturen buchen lieber keine Vorband als eine unbekannte ohne Plattendeal. Das ist eine Form von Pervertierung der Musik-Branche.

Zu teuren, kurzen Konzerten kommen nun sogar in der Fabrik Türsteher, die einen anraunzen...

Quinckhardt: Zu unseren Konzerten kamen durch die Nähe der Spielothek und der ganzen Szene Gangs, die gezielt Ärger an sich zogen. Weil wir so natürlich Probleme im Viertel bekamen, haben wir, unter dem Druck der Mitarbeiter, unsere Politik geändert und eine fremde Security-Firma reingeholt. Manche der Ordner verstehen aber nicht, daß der Ton bei uns ein anderer ist als im Docks.

Das Publikum ist aber auch nerviger geworden. Man braucht unheimlich viel Humor und muß Menschen mögen, um das auszuhalten. An der Kasse wird man als Rassist beschimpft, weil man einen Gambier nicht reinläßt, der keine Karte hat, aber behauptet, daß der Senegalese Yussou N'Dour sein Künstler sei. Außerdem beklagen sie sich laufend über die Eintrittspreise und das, obwohl zum Beispiel in Westafrika Konzerte mindestens genausoviel kosten.

Richtige Krawalle lassen sich immer schwerer vorhersehen. Bei Hannes Wader etwa saßen die Punks vom Platz neben den altlinken Lehrern. Als ein paar Punks die alten Tankerkönig-Lieder forderten, meinte der Wader nur, er werde auf Wünsche derjenigen Hörer nicht eingehen, die sich das letzte Mal mit dem Wasserwerfer gewaschen haben. Daraufhin hat das Publikum angefangen, sich untereinander zu hauen.

Als einer die Polizei anrief, sind die Punks dann abgehauen. Wir haben angeboten, ihnen das Geld zurückzugeben, was sie absolut spießig fanden und mit einem Knüppel den Eingang zerdepperten. Mit dem Konflikt hat natürlich niemand gerechnet.

Fragen: Volker Marquardt