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Die „Jahrhundertreform“ und neue Konflikte

■ Verläßliche Halbtagsgrundschule wurde nun doch von der Bürgerschaft beschlossen

Vom Schuljahr 1996/97 an wird sie stufenweise in allen Hamburger Bezirken eingeführt: Die verläßliche Halbtagsgrundschule. Das beschloß die Bürgerschaft am Mittwoch abend mit der Mehrheit der Regierungsparteien. Die Kinder sollen mehr Zeit haben, um in die „Welt der Buchstaben und Zahlen“ eingeführt zu werden, betonte Schulsenatorin Rosie Raab in ihrer Rede wiederholt. Darüber, daß die Grundschule, lange Zeit Stiefkind der Hamburger Schulpolitik, reformiert werden muß, waren sich alle Fraktionen einig. Die Senatorin habe es aber geschafft diese Reform so unattraktiv zu gestalten, daß sie jetzt auf Ablehnung stoße, so der schulpolitische Sprecher der GAL, Kurt Edler.

Künftig sollen die SchülerInnen ihr „Lernpotential“ von 8 bis 13 Uhr entfalten können. Bereits nach den Herbstferien sollen die Erst- und Zweitklässler einen Vorgeschmack auf die längere Schulzeiten bekommen. Dann haben sie drei bis vier Stunden mehr Unterricht, davon eine zusätzliche Stunde Deutsch. Um sie aber nicht zu überfordern, sollen ihre 27 Wochenstunden aufgelockert werden durch „pädagogisch frei zu gestaltende“ offene Angebote am Anfang und am Ende des Schultags. Mit dieser vom Schulausschuß vorgeschlagenen Modifizierung will man Eltern entgegenkommen, die ihre Kids lieber selbst erziehen wollen.

Selbstzufrieden klopfte sich die Chefin der Schulbehörde verbal auf die Schulter: Hamburg, das erste Land, das die „Verläßliche Halbtagsgrundschule flächendeckend einführt. Würde das Modell dagegen jeweils auf Antrag der Schulen umgesetzt, führe das nur zu unterschiedlichen Bildungsniveaus.

Für die Opposition ist die „Jahrhundert-Reform“ allerdings eine „Mogelpackung“. Lehrer- und Elterninitiativen kritisieren Raum-, Personal- und Geldmangel sowie zu hohe Klassenfrequenzen und vor allem die undemokratische Vorgehensweise der Schulbehörde.

Ihnen hielten die schulpolitischen Sprecher von SPD und STATT-Partei Günter Frank und Rotraut Meyer-Verheyen die Mittel entgegen, die die Freie und Hansestadt für die verläßlichen Halbtagsschulen bereit stelle. 490 Lehrerstellen, eine Million Mark für Lehr- und Lernmittel, geschätzte 5,6 Millionen für Baumaßnahmen allein in der ersten Phase und Fortbildungsangebote für LehrerInnen.

Dennoch: GAL und CDU bevorzugen ein Antragsmodell, um die knappen Ressourcen sinnvoller einsetzen zu können. Die Schulen sollen selbst entscheiden können, ob sie das Konzept umsetzen wollen. „Wir können es uns nicht mehr leisten, kostspielige Maßnahmen für Menschen zu finanzieren, die sie nicht brauchen und nicht wollen“, begründete Ingeborg Knipper die Haltung der CDU. Und GALier Kurt Edler riet der Schulbehörde und ihrer Chefin, sich warm anzuziehen, denn: „Mit der Abstimmung ist die Sache längst noch nicht ausgestanden. Das ist erst der Anfang des Konflikts“.

Patricia Faller

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