Keine Träne für Alfa!

Was wäre die taz ohne die Technik? Nichts als eine hübsche Idee. Denn erst die Computerisierung ermöglichte kostensparende Produktionsbedingungen für eine überregionale Tageszeitung. Der Arbeitsalltag der tazler blieb allerdings auch von den technischen Änderungen nicht unangetastet. Die taz, eine Zeitung zwischen gestern und morgen  ■ Von Reinhard Krause

Ob wir dieses gemeine elektronische Fiepen eines Tages noch vermissen werden, das einen aus redaktioneller Versunkenheit aufscheuchte wie ein Weckruf um fünf Uhr in der Früh? Und dem unweigerlich ein Balken quer über den Bildschirm folgte mit dem Text: „In 30 Sekunden wird der B-Rechner runtergefahren. Sofort speichern mit S 8!“ Blanker Hohn, denn bei langen Texten reichten dreißig Sekunden zum Speichern nie und nimmer. Wenn es fiepte, war es also oft schon zu spät; und wer gehorsam auf „S 8“ drückte, versenkte seinen Text auf Nimmerwiedersehen im elektronischen Orkus.

Jetzt, nach fünfzehn Jahren mit dem Redaktionssystem Alfa, soll Schluß sein mit S 8 und herrischen Speicherbefehlen. Leise Trauer? Nö. Auch nicht wegen der vielen vertrödelten Minuten jeden Tag, während derer man den leeren Bildschirm anstarrte und rätselte, ob die Rechnermitteilung „Text wird gelesen“ den Tatsachen entsprach oder nur elegant kaschieren sollte, daß der Computer wieder einmal abgestürzt war.

Als das taz-Projekt vor zwanzig Jahren konzipiert wurde, standen ganz andere Überlegungen im Mittelpunkt. „Arbeitsteilung“, hieß es in einem Thesenpapier, „soll aufhebbar sein; besonders die zwischen den Redakteuren und den Setzer(innen).“ Hehre Gedanken im Kampf gegen entfremdete Arbeit – ein längst unpassend gewordenes Schlagwort jener Jahre.

Um so erstaunlicher, daß diese Ziele zum Teil sogar verwirklicht wurden. Natürlich ließen sich die Redakteure nicht in Satzschichten einteilen; die Setzer aber wußten ihre Position als erste Leser der Zeitung kreativ zu nutzen und erfanden die legendären Setzer-, besser: Säzzerbemerkungen. Georg Schmitz, taz-Setzer der ersten Stunde und vor einem Jahr in die Produktionskontrolle gewechselt, gilt als Vater der Idee: „Der Leser sollte merken, daß es neben dem Autor noch jemanden gibt, der an der Produktion beteiligt ist.“ Mit oft galligen Spontankommentaren zu den frisch gesetzten Texten pflanzten die Setzer im Leser den Zweifel an eindeutigen Weltsichten. Eine Nebenöffentlichkeit, bei der den Redakteuren oft bang wurde: Mehr als ein Autor zeigte sich über eigenwillige Ergänzungen empört.

Auch in produktionstechnischer Hinsicht betrat die taz bei ihrer Gründung Neuland. Eine im alten Bleisatzverfahren produzierte taz wäre zu teuer und auch zu langsam gewesen. Vorstandsmitglied Andreas Bull, langjähriger taz-Techniker: „Wahrscheinlich hätte die taz weder früher noch später gegründet werden können. Früher nicht, weil mit den alten Satzmaschinen ein Personalaufwand verbunden gewesen wäre, den die taz gar nicht hätte tragen können. Und zu einem späteren Zeitpunkt hätte die politische Stimmungslage ein Projekt wie die taz nicht mehr getragen.“

Ohne Frage: Was damals technische Avantgarde war, erscheint heute wie Werkzeug der Familie Feuerstein. Die Redakteure schrieben auf Schreibmaschinen, und eine Kompanie von nicht weniger als sechzehn SetzerInnen mußte noch das letzte Fitzelchen Text in die Satzmaschinen eingeben. Mit denen ließen sich einspaltige Fahnen herstellen, die dann im Layout per Klebesatz zu Mehrspaltern zusammengefügt wurden.

Die Arbeit am Bildschirm der Satzmaschine galt als strapaziös: Die ersten taz- Setzer waren in zwei Schichten zu vier bis fünf Stunden eingeteilt und erhielten den vollen, wenn auch kargen taz-Lohn. Fünf Jahre später, als mit dem damals hypermodernen Redaktionssystem Alfa zwei Zentralrechner in die Wattstraße einzogen und ein Netz von PCs aufgebaut wurde, übernahmen die Redakteure immer mehr von der Bildschirmarbeit. Der Stamm an SetzerInnen wurde ausgedünnt, die Zahl der Arbeitsstunden erhöht. Heute ist Gabriele von Thun die Heroine der alten Technologie: die letzte und einzige taz- Setzerin. Die Menge der nicht per Datenübertragung einlaufenden Texte reicht aber immer noch für sieben, acht Stunden Bildschirmarbeit täglich.

„Heute werden fast alle Setzerbemerkungen rausredigiert“, sagt Gabriele von Thun und klingt ein wenig fatalistisch. „Jetzt schreibe ich nur noch Kommentare, wenn ich es anders gar nicht mehr aushalte.“ Vorbei also die Zeiten, in denen sie beim Setzen provozierender Kommentare zu ausführlichen Gegenkommentaren ansetzte und die Redakteure zur Verzweiflung trieb, weil die plötzlich doppelt so lange Texte vorfanden und ihre Autoren schon mal voreilig bezichtigten, sich nicht an Zeilenabsprachen zu halten.

Im Moment ist die Umstellung der taz auf das neue Redaktionssystem zur Hälfte abgeschlossen – bislang ohne nennenswerte Katastrophen. Wenn man einmal von den fehlenden Fingern des Wetterfroschs auf der Wahrheitseite absieht. Georg Schmitz vergleicht die heutige taz mit einem gutgeschmierten Räderwerk. „Da bedarf es schon einer groben Unachtsamkeit oder gemeiner Verstöße, bis sich unsere Koryphäen am Hinterkopf kratzen und befürchten, daß am nächsten Tag keine taz erscheint.“

Die Koryphäen, das sind die Leute, die hinter der einzigen Tür im taz-Gebäude residieren, an der ein Zettel „Bitte nicht stören“ klebt. Hier in der EDV-Entwicklung wurde das neue Redaktionssystem erarbeitet – auf der Grundlage von sogenannter freier Software, wie Ralf Klever, Mastermind der Abteilung, betont. „Proprietäre“ EDV, wie sie etwa Microsoft anbietet, kostet Lizenzen und macht externe Wartung erforderlich; die taz-interne Entwicklungabteilung ist da schlicht billiger. Hört man die Herren EDV-Entwickler reden, wird jedoch schnell deutlich, daß die prekären taz-Finanzen fast nebenrangig sind: Hier arbeiten überzeugte und zufriedene Politaktivisten. Undenkbar, das neue Redaktionssystem nicht mit freier Linux- Software aus dem Internet zu entwickeln.

Überhaupt fühlt man sich hier dem guten Ruf verpflichtet, Avantgarde zu sein. Schließlich sorgte man dafür, daß die taz als erste deutschsprachige Zeitung zur Gänze auf elektronischem Wege hergestellt wurde – der Grundstein für das komplette Textarchiv der taz seit 1986. Die Arbeit, heißt es unisono, ist durch die Entwicklungen auf dem Softwaremarkt heute noch spannender als vor zehn Jahren. Selbst wenn das tägliche Geschäft des Zeitungmachens durch die allumfassende Verkabelung ein wenig vom Duft der weiten Welt eingebüßt hat: Dank Ganzseitenübertragung müssen seit fünf Jahren auch die Druckvorlagen für die Fotos nicht mehr per Expreß in die Druckereien in Hamburg und Frankfurt geflogen werden.

Vor ein paar Wochen übrigens tauchte ein Problem auf. Michael Rutschky hatte einen Text über die sonderbar hartnäckigen Ernährungsgewohnheiten der Nachkriegsgeneration gefaxt. Seine Gemahlin, berichtete er darin, könne auch heute noch kein angeschimmeltes Brot wegwerfen. Gabriele von Thun, alles andere als eine Bewunderin der Feminismuskritikerin, ergriff die Gelegenheit zu einem kräftigen „Igitt!“ und einem Hinweis auf gesundheitliche Gefährdungen solch heiklen Verzehrs.

Eine sinnvolle Ergänzung – schließlich ließen sich so erregte Leserbriefe vermeiden. Auch Rutschky gab seinen Segen. Schwer fiel nur die Erinnerung an das korrekte Signum für „die Setzerin“: „die S.'in“? „Die Säzzerin“? Nicht einmal die Profis von der Korrektur wußten Rat. Kulturgut, das still verlorenging.

Reinhard Krause, 37, Redakteur im taz.mag, ist privat hochzufrieden mit seiner 27 Jahre alten „Erika“