Familienmonster

■ Stickig wie Wohnzimmergardinen, ruppig wie geschwisterliche Schhienbeintritte: Thomas Ostermeiers "Feuergesicht" im Malersaal

Schon vorher paßt man nicht recht in seine Haut. Schon als Schleimwesen in der Fruchtblase. In der Union mit dem Muttertier kann man nur aufpassen, daß man ganz bleibt. Hauptsache gesund. Und die Geisterbahnfahrt nach draußen ist kein Weg ins Freie. Die Schienen führen in den Familienstall. In das Wohnzimmer mit dem abwischbaren Veloursboden, auf den Papas besoffenene Freunde kotzen dürfen. An den Rauchglastisch, mit den Schnittchen oder Frikadellen drauf, die man essen muß, wenn man Ruhe haben will. Ins Badezimmer, in dem sich alte Frauen, die „Mama“ heißen, alte Schenkel waschen.

Diese Vatermutterkind-Kasernen sind kein Spaß, aber sie brennen immer wieder gut. In Filmen, im Märchen, in schweren Träumen oder in Bühnenstücken wie Feuergesicht von Marius von Mayenburg, das der designierte Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, jetzt im Malerssal des Schauspielhauses inszeniert hat. Vater (Wolf Aniol), Mutter (Gundi Ellert), Olga (Judith Engel), Kurt (Robert Beyer). Alle sitzen sie im falschen Leben fest. Sie treten auf der Stelle, reiben sich wund aneinander und warten. Auf die Erlösung oder wenigstens auf die Katastrophe. Zwei, die die Liebe schon hinter sich haben und zwei, die noch mit roten Ohren vom Großenganzen träumen. Und von prächtigen Feuern, die allen Ekel fressen.

„Ich bin aus dem Schlimmsten bereits raus: Ich hab das hinter mir“, hofft Tochter Olga – und borgt sich dafür den Brustton jener Mütter, die von der hart erkämpften Stubenreinheit ihres Nachwuchses berichten. Später setzt sie sich mit ihrer leberwurstfarbenen Wollstrumpfhose breitbeinig aufs Waschbecken und weiß, daß das Schlimmste erst noch kommt. Auch Kurt pubertiert, schaut der Schwester dreist auf die Brust und dann hoffnungsvoll in die eigene Hose. Manchmal tötet er Singvögel oder fackelt Kirchen und Klassenzimmer ab. Der brennende Schulvorhang schmilzt Kurts Gesicht gleich mit. Ihm ist es nur recht. Denn Schmerz, das ist schon etwas, wenn man sonst nicht viel spürt. Im Inzest verbünden sich die Geschwister gegen den Rest der Welt der Mamas und Papas. Zwei Königskinder, die ihr Bett zum Thron und zum Ort der Rache machen.

Feuergesicht ist eine böse Geschichte vom bösen Jungen mit den Schwefelhölzern, erzählt in einer Sprache mit vielen Untertönen. Mal ist sie stickig wie Wohnzimmergardinen, mal ruppig wie geschwisterliche Schienenbeintritte unterm Eßtisch. Unter Ostermeiers Regie wird daraus Körper- und Sprechtheater im besten Sinne. Sein Risiko liegt nicht in einem theatralen Experiment, sondern ganz bei den Schauspielern.

Und da liegt es gut. Denn präzise und pointiert lassen die Akteure ihre Familienmonster von der Kette. Ein eindrucksvoller Bühnen-Comic, der am Ende auch an Wilhelm Buschs Grausamkeiten erinnert. Denn wenn Olgas rote Clocks einsam am Bühnenrand stehen, denkt man ans Pyromanen-Paulinchen, von dem nach dem heimischen Flächenbrand auch nicht mehr übrigbleibt als ein paar Kinderschuhe. Thomas Ostermeier