Baby Dichtmatte

■ Sentimentale Erno-Leute, lauter Raumfahrtlobbyisten und Schröder: NASA übergibt feierlich das ausgemusterte Raumfahrtlabor Spacelab an die DASA

Ein Baby? Wo ist hier ein Baby? Wir befinden uns an Bord des Weltraumlabors Spacelab. Herr Lakmann deutet in einen dunklen Winkel und ruft: „Mein Baby!“ 20 Prozent Witz, 80 Prozent Sentimentalität: Es geht um eine graue Dichtmatte, die über einem Ritz liegt, damit den Astronauten keine Schraube verloren geht. Herr Lakmann ist Techniker und hat vor rund 20 Jahren die graue Dichtmatte angeklebt. Ist das ein Wiedersehn! „Wie neu!“ freud er sich.

Gestern liefen am Flughafen in der Hapag-Lloyd-Halle jede Menge Väter um das nach Bremen zurückgekehrte Weltraumlaboratorium herum und suchten ihre Babys. Und da: schon wieder ein Baby! „Die Klettbänder. Habe ich selbst angeklebt. Damit die Astronauten ihre Werkzeuge aufhängen können. Oder sich selbst!“ Sechs weiße Klettbänder, der Rest moosgrün. Die weißen waren ausgegangen. Man denke! 600 Millionen Mark hat die Hitec-Röhre gekostet, und es fehlte an weißem Klettband.

Mit einem Festakt beging die DASA, der Nachfolger von MBB Erno (das steht noch überall auf den Instrumenten, und alle, die damals dabei waren, seufzen, weil sie eigentlich immer noch Ernoleute sind) die „Rückführung des Spacelab nach Bremen“. Die nach sieben Einsätzen ausgemusterte Kiste – zusammen mit der baugleichen Vorgängerin gab es in 15 Jahren 22 Weltraumflüge – soll hier in Bremen, wo sie mal montiert wurde, Reklame für den Raumfahrttechnik-Standort machen und Schülern und Studenten als Anschauungsobjekt dienen. Gut tausend Gäste waren anwesend, als das Lab aus den Händen der NASA in die der DASA überging: Wissenschaftler, Medienleute – und viele von Vatergefühlen getriebene Ingeniereure.

Herr Göbel zum Beispiel ist Schweißfachingenieur. Er sagt nicht Baby zu seinen Schweißnähten, aber sentimental wird er doch. „Hier, fassen Sie mal drüber.“ Wer Alu schweißen kann, ist Oberschicht. Und Raumfahrtaluschweißer sind noch ein Stückchen gottgleicher als Flugzeugaluschweißer. Es geht hier um eine Präzision, die übermenschlich ist. Und hat man etwa je gehört, daß in der Raumfahrt Probleme mit den Schweißnähten auftraten? Na sehen Sie! „Als die Ariane 5 explodierte, stürzten Tanks auf die Erde. Die Schweißnähte hielten!“ Heute schweißt Herr Göbel Tanks für eine neue Ariane-Trägerrakete. Hier nur ein Stichwort: Titan!

Es soll nicht unterschlagen werden, daß der Bundeskanzler eingeflogen kam und andeutete, daß Raumfahrt friedensbewahrend wirkt und man „gerade jetzt“ diesbezüglich Rußland neue Perspektiven geben solle. Wie das mit der Raumfahrt und dem Frieden aber in Wirklichkeit funktioniert, notierte einmal der russische Kosmonaut Boris Wolynow: Während eines Fluges im Kosmos ändert sich die Psyche eines jeden Kosmonauten. Wenn du die Sonne, die Sterne und unseren Planeten ansiehst, gewinnst du mehr Lebensfreude, wirst milder, bekommst eine innige Beziehung zu allem Lebendigen und entwickelst ein gütigeres und duldsameres Verhältnis zu deinen Mitmenschen. Auf Anhieb fallen einem da eine Menge Leute ein, die man mal ins All schicken möchte. Schröder auch. Burkhard Straßmann, zehn Jahre taz Bremen, Ende nicht absehbar