Enteignet Springer?

■ Schlafen Sie mal schön weiter, Herr Wallraff. Denn die deutsche Presse ist viel besser als ihr Ruf: Die taz dokumentiert hier deshalb exklusiv einige Spitzenleistungen der ganz großen Verlage im Land

Gruner + Jahr

Was macht eigentlich Michael Maier? Der neue Stern-Chef stemmt sich entschieden dem Jugendwahn entgegen. Seine luftig gestalteten Editorials sind auch für Senioren verständlich, und erst neulich engagierte Maier zwei Top-Journalisten, die Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust bereits in den Vorruhestand schicken wollte.

Auch bei Gala läßt man nichts verkommen: Der optimale Verwertungskreislauf gelang dem Klatschblatt im Fall Susan Stahnke. Erst widmete Gala ihr zwei Titelbilder und kürte sie zur neuen Marlene – anschließend hat man es immer schon gewußt, daß die „kleine, blondgewellte Nachrichtenfrau“ nicht nach Hollywood, sondern nach Hameln gehört und für eine Rolle in einem Nazi-Streifen sogar Geld bot. Fragt sich, was die ehemalige „Tagesschau“- Sprecherin jahrelang der ARD überwiesen hat, um die Nachrichten lesen zu dürfen. Gala ermittelt.

Lange genug hat sich der Verlag angeschaut, wie Helmut Markwort den deutschsprachigen Markt für Info-Häppchen monopolisierte. 1998 dann schlug man zu und kaufte das österreichische Nachrichtenmagazin News. Noch knapper, noch bunter als Focus. Sauber.

Holtzbrinck

Diesem Traditionshaus gilt der Dank der ganzen Nation – schließlich kommt der erste Kulturminister aus seinem Talentschuppen. Michael Naumann baut uns ein schönes, großes Berliner Stadtschloß, in dessen Schatten das Holocaust-Mahnmal nicht mehr so unangenehm auffallen wird.

Unermüdlich setzt sich das Flaggschiff Zeit für die Meinungsvielfalt ein. Besonders dann, wenn Theo Sommer und die immer noch frech wie eine 17jährige schreibende Gräfin Dönhoff auf der Seite 1 zum intellektuellen Schlittenfahren einladen.

Eine andere große Dame der Wochenpublizistik gilt den meisten Zeit-Feuilletonisten als Unheil, weil sie auf der letzten Seite des Kulturteils unötig Platz wegnimmt und die Liebhaber langer Riemen zur Kürze nötigt. Dabei ist doch die TV-Kritik von Barbara Sichtermann eine Oase in der „Spaßgesellschaft“ (Sigrid Löffler). Hier wird das Reizmedium weiterhin ernstgenommen und jede Woche ein Adolf-Grimme- Preis vergeben. Unermüdlich zitiert Sichtermann auf engstem Raum Brecht und Marx – auch wenn es bloß um eine TV-Spendenaktion für die verfallenen ostdeutschen Dorfkirchen oder die Ziehung der Lottozahlen geht. Halt durch, Babsi.

Zunächst stand zu befürchten, daß das Talkshow-Duo Erich Böhme und Heinz Eggert den böswilligen Plüschsenioren Waldorf und Stadler aus der Muppet-Show nacheifern würde. Doch netterweise führen die beiden in ihrem „Grünen Salon“ Woche für Woche vor, daß man trotz frühzeitiger Ausmusterung nicht zwangsläufig verbittern muß. Vor einem ausgesuchten Publikum stoßen sich diese beiden glänzenden Conférenciers gegenseitig in die Rippchen, daß man darüber sogar den Börsenticker vergißt. Eggert und Böhme muß man einfach liebhaben.

Milchstraße

Verleger Dirk Manthey redet nicht nur von neuen Arbeitszeitmodellen, sondern lebt sie auch praktisch vor. Während er sein Team große Hefte wie Max und Tomorrow vollschreiben läßt, ankert Manthey ganzjährig vor der Küste von Ibiza. Die wird derzeit mit TNT begradigt, um Platz für Mantheys neue Villa zu schaffen. An der Pool-Bar der „Milchstraßen“-Mansion will der Chef in Zukunft die neuen Fit for Fun-Covergirls testen. Von sowas konnte ein Henri Nannen nur träumen.

Amica heißt die Zeitschrift, die alle Demographen zum Wahnsinn treibt. Rechnet man sämtliche Bindungswilligen zusammen, die die Amica-Single-Beilage Monat für Monat zur Paarung freigibt, dann wäre halb Deutschland solo. Aber Vorsicht beim Ausfüllen des Bestell-Coupons: Auf die besten Schnäppchen stürzen sich die „Milchstraßen“-Mitarbeiter selbst. So räumte Verlagssprecherin Yvonne von Stempel erst kürzlich den Traum-Anchorman Ulrich Wickert ab, der eigentlich schon als Single des Monats im Druck war.

Burda

Die tun was. Weil der Autobauer sein neues Modell „Focus“ nennen wollte, mußte Ford nicht nur eine Million an die „Ärzte für die Dritte Welt“ spenden und einen Transit nach Kenia expedieren, sondern dem gewieften Focus- Chefredakteur Helmut Markwort auch zusichern, möglichst viele neue Abonnenten ranzukarren. Seitdem kann das dicke Nachrichtenmagazin bei vielen Ford-Händlern als Extra ohne Aufpreis bestellt werden. Macht sich ganz gut auf der Hutablage!

Markworts Lebensgefährtin Patricia Riekel stellt sich derweil mutig an die Speerspitze der antifeudalen Bewegung im Lande. Den rotwangigen Prinz Ernst August von Hannover und seinen Anwalt beschied sie in einer ganzseitigen Anzeige, daß der Adel keine Sonderrechte genießt und die Berichterstattung über sich nicht an- und ausknipsen kann wie den Kronleuchter im Schloß. So wird die tapfere Riekel auch irgendwann rausbekommen haben, ob Carolines kleiner Prinz wirklich aus Hannover ist. Und wenn es dafür Dresche mit dem Regenschirm setzt.

Bauer-Verlag

Die Hamburger sorgten dafür, daß Kanzler Kohls ehemaliger Medienberater Andreas Fritzenkötter nach der verlorenen Bundestagswahl nicht in ein Loch fällt, und kürten ihn zum Verlagssprecher. Ein wahrer Jungbrunnen für „Fritzi“, darf er doch nun Praline und Selbst ist der Mann verkaufen, anstatt Helmut aus der Welt am Sonntag vorzulesen und die Puschen vorzuwärmen. In seinen Beiträgen für die Mitarbeiter- Zeitschrift beweist Fritzenkötter, daß er sich immer noch in Rekordzeit assimilieren kann: „Ich fühl' mich schon als ganzer Bauer.“

Und als solcher wird er nicht eher ruhen, bis sich auch die letzte Eiskunstlauf-Prinzessin für den Playboy ausgezogen hat. Dessen Chefredakteur Peter Lewandowski hat die Demokratisierung der Pin-up- Kultur entscheidend vorangebracht. Sein neuer Einheitslohn von 30.000 Mark (oder so) läßt keine kalt: Vom „Lindenstraßen“- Ensemble über Bohlens Naddel bis zu Christine Kaufmann. Nach einem Gespräch mit dem Nacktmacher der Nation wollten sie plötzlich alle unbedingt mal so schöne ästhetische Aufnahmen von sich machen lassen, die selbst der Omi gefallen.

Ein Territorium jenseits aller Geschmacksfragen beackert Bauer mit den Premium-Produkten aus dem Klaus Helbert Verlag, bei denen knallhart recherchiert wird. „Giftige Billig-Tampons verätzen die Vagina“, hat Coupé entdeckt – eine mutige Zeitschrift, die sich auch durch dauernde Abmahnungen des Presserats nicht vom Wege der Aufklärung abbringen läßt.

Spiegel Verlag

Das Magazin von der Hamburger Brandstwiete schreibt als einziges deutsches Medium nicht schlecht über das knuffige Nullmedium Johannes B. Kerner. Böse Zungen behaupten, das hänge damit zusammen, daß man dessen Show mitproduziert. Eher unwahrscheinlich: Denn auch ohne diese Interessenkollision hätte der Spiegel keinen Grund, an Kerners Late-Show etwas auszusetzen, schließlich pflegt man seit geraumer Zeit in der Spalte „Am Rande“ selbst die hohe Kunst des pointenarmen Glossierens. Hier dürfen alle mal ran – zur Not wird sogar Loriots „Jodeldiplom“ noch einmal verbraten.

Ansonsten tut Stefan Aust als Chefredakteur des Spiegel und Mitglied des Medienbeirats der Telekom viel für die Informationsgesellschaft. So legte er seinem Nachrichtenmagazin als praktisches Gimmick eine CD-ROM von T-Online bei – damit Spiegel-Leser wissen, wie sie ins World Wide Web gelangen können. Denn Modernität gehört in die elektronischen Medien und nicht in die Zeitschrift. So machte der Spiegel-Verlag den Ambitionen der Econy-Macher ein schnelles Ende. Nachdem die Zahl euphorischer Leserbriefe die Anzahl verkaufter Hefte überstieg, entließ man die Macher in die Selbständigkeit. Das ist Business in Bewegung.