■ Ein Volk, ein Führer – gemeinsame Verbrechen
: Das Deutsche in Serbien

In Belgrad herrscht Bombenstimmung: „Ein Volk, ein Großserbien, ein Führer.“ Unter dem Eindruck der Nato-Angriffe findet die serbische Volksgemeinschaft endgültig zu sich selbst. Gemeinschaftsstiftend sind die im Namen des Volkswohls begangenen Massenverbrechen der vergangenen zehn Jahre. Diese Taten müssen verdrängt werden. Am besten geschieht dies in der Verkehrung von Opfern und Tätern – vor allem in der Inszenierung des Selbstmitleids. Ein in Deutschland gut bekanntes Phänomen, ob es um die Selbstkonfrontation mit dem Holocaust ging oder um die Erbschaft des Stasi-Staates. In diesem geschlossenen System von Terror und millionenfacher Mitschuld gedeihen Kollektivismus und Selbstverblendung. Diese geistige Verbunkerung läßt sich nicht anders aufbrechen als durch Gewalt von außen.

Mit den Massenvertreibungen im Kosovo, den Morden an albanischen Lehrern, Journalisten, Rechtsanwälten und Ärzten, mit der Liquidierung von wehrfähigen Männern hat Milošević, hat Serbien jene Grenze überschritten, die Hitler und die Deutschen in den ersten vier Wochen des Krieges gegen die Sowjetunion hinter sich gelassen hatten. Weniger die Nato-Angriffe als das Ausmaß der gegenwärtigen Verbrechen stärkt den Durchhaltewillen. Daraus folgt ein verändertes Kriegsziel: Das Kosovo muß durch die Truppen der Nato befreit werden. Serbien hat sein Recht auf den Kompromiß von Rambouillet verwirkt, weil die serbischen Einsatzkommandos Völkermord im Namen und im Auftrag des serbischen Volkes begehen und den Partner des ursprünglich vorgesehenen Kompromisses teils ausrotten, teils verjagen. Am Ende des Krieges wird ein internationales Militätribunal, wie einst in Nürnberg, über die Kriegsverbrecher zu richten haben. Götz Aly

taz-Redakteur 1980–83, 1990–93. Jetzt bei der Berliner Zeitung