Algerien: Entscheidung nach dem Freitagsgebet

■  Abdelazis Bouteflika wurde, wie erwartet, zum Sieger der Präsidentschaftswahlen erklärt. Opposition ruft zu Protesten auf

Berlin (taz) – Der neue Staatspräsident Algeriens heißt Abdelaziz Bouteflika. Das Innenministerium in Algier gab am Donnerstag morgen bekannt, daß der einzige verbliebene Kandidat der Präsidentschaftswahlen vom Mittwoch 73,8 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hatte, die Wahlbeteiligung lag bei für das Militärregime enttäuschenden 60,2 Prozent. Bouteflika war der Kandidat des Militärs, hatte im Wahlkampf aber betont, er werde sich bemühen, das Vertrauen des Volkes zurückzugewinnen. Er rief die Bevölkerung auf, dies durch eine hohe Wahlbeteiligung zu tun. In Algier selbst lag sie aber selbst nach offiziellen Angaben bei nur 31,3 Prozent. Doch die Stimmenauszählung ist nicht der entscheidende Punkt in der gegenwärtigen politischen Entwicklung Algeriens. Die offiziellen Zahlen, auch die über die Wahlbeteiligung, werden von der Opposition in Zweifel gezogen. Die sechs übrigen Kandidaten hatten sich aus Protest gegen Wahlmanipulationen des Regimes am Tag vor dem Urnengang zurückgezogen. Mouloud Hamrouche, einer der sechs, hatte eine Wahlbeteiligung von etwa zwanzig Prozent erwartet. In einer Erklärung forderte er den amtierenden Staatspräsidenten Liamine Zeroual auf, die Ergebnisse zu annullieren und Neuwahlen anzusetzen.

Die Oppositionskandidaten riefen ihre Unterstützer auf, sich landesweit und massenhaft an Demonstrationen nach dem Freitagsgebet zu beteiligen. Die algerischen Behörden warnten vorab, solche Proteste seien illegal.

Der Verlauf dieser Veranstaltungen, über die bei Redaktionsschluß noch keine Meldungen vorlagen, ist der eigentliche Gradmesser für die Unterstützung der Opposition im Land.

Die zurückgetretenen Kandidaten kommen aus sehr unterschiedlichen Richtungen. Zu ihnen gehört der Sozialist Hocine Ait-Ahmed, der bis vor wenigen Wochen noch im Exil lebte und gegenwärtig in einem Schweizer Krankenhaus behandelt wird, aber auch der Islamist Ahmed Taleb Ibrahimi, der die Unterstützung der verbotenen Islamischen Heilsfront FIS genoß. Daß sie sich zu dem gemeinsamen Schritt entschlossen, ihre Kandidatur zurückzuziehen, ist ein bedeutender Schlag gegen das Regime. Der Menschenrechtsanwalt Ali Yahya Abdennour sagte zur BBC, ein neuer Prozeß habe begonnen. „Dies wird die Menschen mobilisieren, und sie (das Regime, die Red.) werden uns nie wieder vorfabrizierte Wahlen aufzwingen können.“

Die Militärs intervenierten 1992, um einen damals zu erwartenden Wahlsieg der islamistischen Heilsfront FIS zu verhindern. Seitdem leidet das Land unter einem blutigen Bürgerkrieg, dem bis heute mehrere zehntausend Menschen zum Opfer fielen. Viele bekannte Intellektuelle wurden ermordet. Das Regime in Algier machte die Islamisten für die oft brutalen Massaker verantwortlich, doch es wird vermutet, daß die Geheimpolizei hinter einem beträchtlichen Teil der Morde steht.

Stefan Schaaf