„Die Menschen haben einfach Angst“

Nach den Präsidentschaftswahlen in Algerien regt sich kaum Protest. Ganze 200 Menschen gingen in der Hauptstadt auf die Straße – vor allem Jugendliche. Mobilisiert hat sie die Jugendorganisation RAJ  ■   Aus Algier Reiner Wandler

Die Enttäuschung steht ihnen in die Gesichter geschrieben. Die im Sitz der Versammlung Jugendaktion (RAJ) nahe des Boulevard der Märtyrer versammelten Jugendlichen fühlen sich „allein gelassen“. Aus der kleinen Villa mit Blick auf die Bucht von Algier dröhnt die Stimme des in Frankreich lebenden Rai-Sängers Cheb Mami: „Du hast mich verraten.“

„Frustrierend war es“, sagen alle einhellig auf die Frage nach der Demonstration der sechs Oppositionskandidaten, die sich geschlossen von den algerischen Präsidentschaftswahlen am Donnerstag zurückgezogen hatten. Die rund 200 Jugendlichen, die trotz stärkstem Polizeiaufgebot am Freitag nachmittag auf dem Platz des 1. Mai gegen „den Putsch an den Wahlurnen“ des Kandidaten von Staat und Armee, Abdelaziz Bouteflika, anschrien,seien alle von der RAJ zusammengetrommelt worden. „Die sechs Kandidaten haben nicht die Kraft, Leute auf die Straße zu bringen“, sagt einer der jungen Männer.

„Die Menschen haben einfach Angst“, entschuldigt Nadjet Bouda, eine der wenigen Frauen in der Gruppe, das Scheitern der Demonstration. Noch vor wenigen Stunden war die 20jährige der Blickfang aller Fernsehkameras. Sie war auf die Schultern eines ihrer Mitstreiter gestiegen und hatte die Parolen vorgegeben.

„Für ein freies, demokratisches Algerien!“ – „Bouteflika, Dieb!“ stimmte sie unermüdlich an gegen den Wahlsieg Bouteflikas, einst Außenminister unter Präsident Houari Boumediene. Zwischendurch skandierte sie: „Frieden! Frieden!“

Nadjet weiß, wovon sie redet. Sie ist in al-Harrasch, einer Industriestadt vor den Toren Algiers aufgewachsen. „Viele meiner Schulkameraden haben sich auf die eine oder andere Seite des Konflikts geschlagen und dafür mit dem Leben bezahlt“, erzählt Nadjet, die einen „einen dritten Weg“ einschlug und zur RAJ ging. Seit fünf Jahren versucht die Organisation die Jugend Algeriens für den Dialog zu gewinnen. Seit fast zwei Jahren ist Nadjet Vorsitzende.

Mit der Ankündigung der Präsidentschaftswahl kam nicht nur bei den RAJ-Leuten Hoffnung auf. Erstmals waren sieben Kandidaten aller politischen Richtungen vertreten. „Und dann wieder Wahlbetrug. Der Opposition blieb nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen“, verteidigen die Jugendlichen der RAJ die Entscheidung, auch jetzt noch, wo die erste groß angekündigte Protestaktion scheiterte. Die Wahlen liefen weiter. 60,25 Prozent Beteiligung vermeldet die Regierung. Knapp 74 Prozent für Bouteflika. „Ein Hohn“, sagen die Jugendlichen und verweisen auf die Gruppe der sechs, die von „Zahlen aus dem Labor des militärischen Sicherheitsdienstes“ sprechen. 23 Prozent Wahlbeteiligung sollen es tatsächlich gewesen sein. Die Quelle: „Eine undichte Stelle im Innenministerium.“

„Das kann so nicht stehen bleiben. Die Proteste gehen weiter“, tröstet sich Mohammad, der vor kurzem den Militärdienst beendete, wo er drei seiner Kameraden in Auseinandersetzungen mit radikalen Islamisten sterben sah. In der Berberregion Kabylei hätten schließlich Zehntausende demonstriert. Das könne dem Marsch, zu dem die von Berbern geführte Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) für heute in einer Woche in Algier mobilisiert, zum Erfolg verhelfen. Außerdem ruft die Gruppe der sechs für den Tag der Amtübernahme Bouteflikas zur einstündigen Schließung aller Geschäfte und der Fensterläden der Privatwohnungen auf.

„Das ist gelaufen“, wirft ein anderer Jugendlicher ein, „die einzigen, die hier ein wirkliches Potential haben, sind die Islamisten, und die haben teuer bezahlt.“ Unten auf der Straße fährt laut hupend ein Autokonvoi vorbei. Junge Anhänger Bouteflikas feiern Fahnen schwenkend ihren Sieg. „Schnösel“ und „Kinder der Mafia“ schimpfen ihre Altersgenossen oben auf der Terrasse.

Vom Hafen erklingt die Sirene der Fähre aus Marseille. „Ich habe nie den Gedanken gehabt, wegzugehen. Ich will das Land ändern“, sagt Nadjet. Sie animiert die Umstehenden, auch dieses Mal die Hoffnung nicht aufzugeben, daß sich irgendwann in Algerien doch noch etwas ändert.