Das alte Feindbild Amerika stimmt nicht mehr

■ Die arabische Welt ist erstaunt: Auf dem Balkan führt die verhaßte Supermacht Krieg, um Muslime zu schützen. Doch das könnte zum Präzedenzfall auch für den Nahen Osten werden

Der Krieg um das Kosovo sorgt in der arabischen Welt für Verwirrung. Einerseits erinnern die Bilder der Nato-Luftangriffe an den Krieg gegen den Irak vor acht Jahren – für viele Araber immer noch ein traumatisches Erlebnis. Andererseits können sie sich nicht der Tatsache verschließen, daß diesmal eine westliche Militärallianz ihre Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt hat, um eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung zu schützen.

Die typische arabische Erwartung, daß der Feind des Westens entweder arabischen oder muslimischen Ursprungs ist, werden diesmal enttäuscht. Abdel Monem Said, der Chef des al-Ahram Zentrums für Strategische Studien in Kairo, drückt das so aus: „Für die Menschen hier sieht es so aus, als ob diesmal eine christliche Allianz einen christlichen Bruderstaat angreift, um Muslime zu retten.“

Laut Hani Schukrallah von der englischsprachigen ägyptischen Wochenzeitung al-Ahram Weekly „ist die Idee des Islam als Gegner des Westens auf den Kopf gestellt“. Dennoch war es überraschend, als führende islamistische Intellektuelle die Nato-Angriffe offen unterstützten.

„Die Serben sind jetzt der Feind Nummer eins, während sich die Muslime mit dem zweiten Platz zufrieden gegeben müssen“, witzelt der ehemalige ägyptische Diplomat Tahsin Baschir. Für viele Araber ist es von der Forderung nach dem Schutz der Muslime im Kosovo bis zur Billigung der Nato-Angriffe ein schwieriger Schritt. Das kam auch bei mehreren Studentendemonstrationen an der Kairoer Universität zum Ausdruck. Wie selbstverständlich ließen die Studenten die serbische und die US-amerikanische Fahne gleichzeitig in Flammen aufgehen. Jahrzehntelange arabische Erfahrungen von US-Interventionen im Nahen Osten, etwa im Irak oder in Libyen, sind nicht so einfach zu vergessen.

Auch die altbewährte strategische Allianz zwischen den USA und Israel, die für die meisten Araber etwas zementierte, was sie heute als eine Art ethnische Säuberung der Palästinenser sehen, führt zu einem skeptischen Ausblick auf jede Militäroperation, in die die USA verstrickt sind. „Es existiert das grundsätzliche Gefühl, daß von den USA einfach nichts Gutes kommen kann“, beschreibt Schukrallah die Empfindungen.

Die Tatsache, daß die Nato ohne Beschluß des UN-Sicherheitsrates agiert, bedeutet für den ägyptischen Politologen Hassan Nafaa ein gefährliches Exempel. „Die ganze Episode kann dazu führen, daß der UN-Sicherheitsrat in Fragen der internationalen Sicherheit in Zukunft verdrängt wird“, fürchtet er. „Selbst wenn wir ehrenwerte Motive voraussetzten – und nicht jeder ist davon überzeugt –, dann gibt es keine Garantie, daß sie auch in Zukunft ehrenwert bleiben.“

Auch für Tahsin Baschir, wird mit dem Krieg der Nato gefährliches Neuland betreten. „Während der Irak-Krise wurde noch darum gestritten, wie die USA bestimmte UN-Resolutionen zur Anwendung von Gewalt interpretieren. Diesmal gibt es nicht einmal mehr eine Resolution“, erklärt er. Ähnliche Szenarien wie das im Kosovo wären im Zusammenhang mit vielen in der arabischen Welt lebenden Minderheiten vorstellbar, etwa den irakischen Kurden. „Wir sollten nie vergessen, daß solche Aktionen auch gegen den Irak, Sudan, Libyen oder Iran angewandt werden könnten“, warnt ein Verantwortlicher im ägyptischen Außenministerium.

Die Zwiespältigkeit der Gefühle erklärt die relativ späten Reaktionen aus der arabischen Welt. Erst als Israel seine erste Hilfslieferung für die Kosovo-Albaner verschickt hatte, begannen auch Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien ihren Glaubensbrüdern zu helfen. „Am Anfang waren einfach alle nur verblüfft, daß eine potentiell in den arabischen Augen als feindlich gesehene Organisation wie die Nato den Muslimen im Kosovo zum Beistand eilt“, erklärt Abdel Monem Said das Schweigen in den ersten Kriegstagen. Und noch immer ist der Krieg im Kosovo in den arabischen Teehäusern nicht das am heißesten debattierte Thema. Wichtiger ist hier die in der nächsten Woche anstehende Wiederaufnahme des Flugverkehrs nach Libyen und die Hoffnung auf Arbeit in dem Nachbarstaat nach Aufhebung des UN-Embargos.

Sollten im Kosovo-Konflikt wieder Diplomaten gefragt sein, könnte sich eine Rolle für arabische Vermittler ergeben. Schließlich ist es kaum vorstellbar, daß Jugoslawien jemals Nato-Truppen zur Überwachung eines Friedens zustimmen wird. Traditionell haben die arabischen Länder, allen voran Ägypten, gute Beziehungen zu Jugoslawien aus der Zeit der Blockfreien-Bewegung. Und ägyptische Truppen konnten bereits in Bosnien Erfahrungen in Friedensmissionen sammeln.

Ägypten wäre sicherlich bereit, erneut Truppen unter UN-Flagge zu entsenden, glaubt Tahsin Baschir. Aber für derartige Gedanken ist es noch zu früh, denn, so formuliert der ägyptische Politologe Muhammad Sayyed Said: „Die Nato hat die Angelegenheit in ihre Hände genommen, und für die Menschen in der arabischen Welt bleibt nicht viel zu tun.“ Karim El-Gawhary, Kairo