„Als ob Europa Truppen in die USA schickte“

Amerikas Kriegsgegner sind eine kleine radikale, manchmal auch skurrile Minderheit. Amerika habe kein Recht, einen Krieg um das Kosovo zu führen. Alles andere sei pure Heuchelei  ■   Aus Washington Peter Tautfest

„Gemeinhin wird Kosovo als das Problem und die Nato als die Lösung dargestellt, dabei ist es genau umgekehrt, die Nato ist das Problem und Kosovo die Lösung.“ So eröffnet Diana Johnstone, langjährige Europa-Korrespondentin der kritischen amerikanischen Zeitschrift In These Times eine ihrer Philippiken gegen den Kosovo-Krieg der Nato. Während die Kriegsführung um das Kosovo heute zum Teil in den Händen derer liegt, die ehemals wie Bill Clinton in Opposition zu Amerikas Vietnamkrieg standen, scheint die Kritik am Kosovo-Krieg heute die Sache der Vietnamkämpfer von gestern zu sein.

Der über Nordvietnam abgeschossene heutige Senator John McCain etwa kritisiert, daß Amerika unter Clintons Führung in einen Krieg gestolpert ist, den es nicht hätte anfangen sollen, jetzt aber durch den Einsatz von Bodentruppen gewinnen muß.

Wo ist Amerikas Friedensbewegung und Kriegsopposition geblieben? In Brüssel beispielsweise. Diana Johnstone, von 1990 bis 1996 Sprecherin der Europäischen Grünen im Europaparlament und Mitherausgeberin der Zeitschrift Dialog, hat unter Amerikas „Linken“ die bisher weitestgehende Kritik an Amerikas Balkan-Politik formuliert: Daß die Nato die Konflikte auf dem Balkan schürt, um der Nato eine neue Existenzberechtigung und dem militärisch-industriellen Komplex neue Aufträge zu verschaffen. Und das gehört noch zu den wenig originellen Vorwürfen.

Schuld am Kosovo-Krieg seien die Kosovo-Albaner selbst, deren nationalistische Vision von einem Großalbanien mit den Plänen der Ölindustrie eine unheilige Allianz eingegangen ist. Eine Loslösung Kosovos und die Zerschlagung Jugoslawiens lägen im Interesse der Öl-Multis, die die Vorkommen am Kaspischen Meer ausbeuten und durch Ex-Jugoslawien nach Westen transportieren wollen. Daß der Weltmarkt derzeit aber mit Öl überschwemmt wird, das wird nicht angemerkt.

Der Linguist Noam Chomsky, ein scharfzüngiger und bitterer Kritiker von Amerikas Vietnamkrieg, setzt in einem Artikel im Z-Magazine am Desinteresse der USA gegenüber der gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung der Kosovo-Albaner an: „Da Amerikaner nur die Sprache der Gewalt verstehen, begannen sie sich erst für das Anliegen der Albaner zu interessieren, als die UÇK zu den Waffen griff.“ Chomsky bestreitet nicht grundsätzlich das Recht, militärisch zugunsten bedrängter Minderheiten einzugreifen, wirft aber die Frage nach Treu und Glauben auf: „Als der Iran sich anbot, die Bosnier mit Waffen und Freiwilligen zu unterstützen, ist niemand auf die Idee gekommen, Iran lautere Motive zu unterstellen.“

Die meisten der Kritiker bestreiten den USA das Recht, moralische Gründe für den Krieg ins Feld zu führen. Amerika stehe selbst moralisch am Pranger. Die USA haben danach durch Duldung und Billigung von Massenmord und Massenverfolgung anderenorts das Recht verwirkt, im Kosovo zugunsten bedrängter Minderheiten einzugreifen. Die Beispiele reichen von der Weigerung, mehr jüdische Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg aufzunehmen oder Auschwitz zu bombardieren, über Amerikas Parteinahme für Pakistans Vernichtungskrieg gegen die Bengalen bis zur amerikanischen Duldung des kroatischen Feldzugs zur Vertreibung der Serben aus der Krajina 1995.

In den Argumenten der Kriegsgegner spielt der amerikanische Bürgerkrieg eine besondere Rolle. Benjamin Schwarz und Christopher Layne schreiben im Magazin The Nation: Amerikas Eingreifen in Jugoslawien „ist, als wenn eine europäische Allianz des 19. Jahrhunderts aus Sorge um die Stabilität Amerikas (und ihres Zugangs zu den Baumwollfeldern des Südens) Präsident Lincoln dazu gezwungen hätte, die Unabhängigkeit der Südstaaten zu akzeptieren, und europäische Truppen zur Überwachung des Abkommens nach Amerika entsandt hätte.“

In New York haben am Samstag nach Polizeiangaben mehr als 2.000 Menschen gegen die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien protestiert. Der Demonstrationszug durch das Zentrum von Manhattan sei ohne Zwischenfälle verlaufen, erklärte ein Polizeisprecher. Die Demonstranten zogen an den Konsulaten von Ländern vorbei, die an den Angriffen beteiligt sind.

Eine der Organisatoren sagte, die Veranstaltung richte sich „gegen die Unterdrückung des jugoslawischen Volkes durch die USA“. Die Demonstration solle zeigen, daß es keine breite Unterstützung für die Bombardierungen gebe.

Auch in anderen Städten, darunter San Francisco, gab es Protestmärsche gegen die Nato-Angriffe.