Kein Blues im Reichstag

Mit neudeutscher Großmannssucht hat der Umbau von Sir Norman Foster nichts gemein. Als krasser Widerspruch zum historischen Teil entstand unter der Hightech-Kuppel ein streng funktionaler Plenarbereich. Doch dem Bauwerk fehlt die Seele  ■ Von Rolf Lautenschläger

Der Himmel über Berlin gehört nicht mehr den Engeln von Wim Wenders, den neuen Hochhäusern von DaimlerChrysler oder dem Fernsehturm am Alexanderplatz. Seit ein paar Wochen leuchtet die gläserne Reichstagskuppel in die Hauptstadtnacht; die Demokratie als Bauherr zeigt sich an der Berliner Skyline. Das bauliche Symbol der „Berliner Republik“ strahlt hinüber zur Straße Unter den Linden, zum Potsdamer Platz, dem Brandenburger Tor, in den Tiergarten bis Moabit und Mitte. Wo immer man mit der S-Bahn Richtung Regierungsviertel fährt, drängen sich die blau schimmernde Leuchte und ihre feinen Stahlrippen ins Blickfeld.

Die bauliche Chiffre wiedergewonnener nationaler Größe ist unübersehbar. Doch täte man dem Architekten Sir Norman Foster unrecht, den Umbau des Reichstags zum Plenargebäude des Bundestages als Akt der Restauration zu denunzieren. Die 600 Millionen Mark teure Sanierung erfüllt zwar nicht den schlichten Anspruch des Bonner Parlaments. Als Hoheitszeichen nationaler Rhetorik indessen verweigert sich der Umbau des Reichstagsgebäudes – und insbesondere die gläserne Kuppel. Sie bildet keine Geste des Triumphs, ebenso wie sich heute Politik solcher Pathosformeln verweigert. So gesehen wirkt Fosters über 23 Meter hohe Hightech-Laterne wie ein „Spotlight“ über der Stadt, unter dem die alte Zeit in Gestalt des steineren Wallot-Kolosses mit seinen Türmen und Säulen aus dem Jahre 1894 als Schatten zwischen den Baukränen des Kanzleramtes verschwindet.

Die Kuppel, umschrieb der Architekturhistoriker Heinrich Wefing einmal, lasse alle Befürchtungen verfliegen, das „bombastische Fossil“ des alten Reichstags könne sich zur Hypothek der neuen Republik auswachsen. Fosters Bauwerk mit seinen Lichtumlenkspiegeln und energiesparenden Techniken sei „ökologisch korrekt“ und auch deshalb ein „Wahrzeichen für die Mitte der rot-grünen Republik“. Und entspricht nicht auch oder gerade die Kuppel als Sinnbild einer „Politik der neuen Mitte“, weil deren Protagonisten den Wahlkampf und sich selbst zu einer einzigen Medien- und Unterhaltungsszenerie stilisierten?

Daß gerade Fosters gläserne Reichstagskuppel der wohl stärkste Teil des Umbaus ist, irritiert auf den ersten Blick, hatte doch der Architekt ganz andere Pläne. Sein Wettbewerbsentwurf aus dem Jahr 1993 stellte den Reichstag unter ein großes flaches Dach, als wolle er das alte Gemäuer unter Schutz stellen, aber nicht direkt anfassen. Der monumentale Bau und seine banale Architektursprache hatten es Foster und anderen Teilnehmern des Bauwettbewerbs wenig angetan. Nicht zuletzt deshalb zeichneten mehrere Architekten Entwürfe mit einem neuen Plenargebäude in der Nachbarschaft des Reichstags, oder sie lehnten Umbauten schlichtweg ab.

Der Bundestag als Souverän und Bauherr hat Foster schließlich gezwungen, sein Dach in eine Kuppel zu verwandeln. Vielleicht ist nur aus diesem „Zwang“ heraus zu verstehen, daß mehr entstand als eine Neuauflage der Pickelhaube. Foster setzte dem Reichstag eine Hightech-Haube als Objekt öffentlicher Nutzung und Gegenwart auf, eine futuristische, begehbare Skulptur, die Besucher auf der allmählich ansteigenden Rampe in den Berliner Himmel führt und diese mit einem wunderbaren Ausblick über die Stadt belohnt.

Gemessen an der Kuppel sind die Umbauten im Inneren des Reichstags eine Enttäuschung. Weil der Architekt auch für das Innenleben des dreistöckigen Reichstags das gleiche Konzept wie auf dem Dach verfolgte – nämlich den Kontrast zwischen Neu und Alt –, entstand aus der Konfrontation kein baulicher Dialog, sondern ein brachialer Widerspruch.

Wer den Reichstag jetzt betritt, schaudert ein wenig angesichts dessen, was vom alten Wallot-Bau übrig blieb. Mit der vollständigen Entkernung – man kann auch von Abriß sprechen – des Altbaus (beziehungsweise der 60er-Jahre-Moderne von Paul Baumgarten) hat Foster den Reichstag auf kühles Mauerwerk degradiert. Von der einstigen Parlamentsburg stehen noch die vier Ecktürme, die Fassaden und Portale sowie die Innenhöfe und Erschließungswege. Wie schon bei der Nachkriegssanierung von Baumgarten wanderten 48.000 Kubikmeter Schutt – das entspricht 4.000 Lkw-Ladungen – aus dem Gebäude, dessen Leere nicht mehr entsprechend „gefüllt“ wurde. Im Gegenteil. Gesteigert wird die „Entkernungsatmosphäre“ durch den riesigen Plenarsaal von 1.200 Quadratmeter Größe, das hohe Eingangsfoyer und die Galerien, die den Saal umrahmen. So entsteht ein Raumgefühl, das wenig an konzentrierte Debatten erinnert. Vielmehr denkt man angesichts der Weite des ovalen Plenarsaals, über dem sechs freischwebende Zuschauertribünen hängen, an Schalterhallen oder Sportarenen, denen jede Initimität abhanden gekommen ist.

Der Meister technischer Eleganz, wie Foster auch genannt wird, hat den Bogen überspannt, indem er Sachlichkeit mit spröder Nüchternheit verwechselte. Und selbst seine blauvioletten Sessel in dieser Kathedrale des Parlaments lindern den harten funktionalen Eindruck kaum. Das „Reichstagsblue“ ist kein Blues. Dem Raum fehlt die Seele.

Dennoch sind auch Verbindungen zwischen Geschichte und Moderne gelungen. Wer das westliche Haupteingangsfoyer mit weißem Putz, beigem Naturstein und Edelmetall verläßt, stößt auf einen weniger radikalen Foster. In die hohen Flure der Wandelgänge zum Süd- oder Nordausgang und hinüber zum östlichen Präsidialbereich hat der Architekt luftige gläserne Stege eingebaut, die sich gut vom rohen Wallot-Gemäuer absetzen und eine positive Spannung zwischen Alt und Neu aufbauen. In dem Gang, wo die kyrillischen Graffiti der Rotarmisten „freigelegt“ wurden, springt der bekannte Funke über. Und je weiter es hinaufgeht, etwa in die Presselobby über dem Plenarsaal oder in die Fraktionsräume, bleibt man hängen an den gläsernen Ein- und Aufbauten oder den Farben, mit denen Foster dem steinernen Reichstag etwas Spielerisches geben wollte. Man ist versucht zu sagen, je weiter sich der Architekt vom alten Gemäuer entfernt hat, je weiter er zur Kuppel gelangt, desto mehr überzeugt seine Idee. Dort wird der Umbau zum Event.

Rolf Lautenschläger, 45, ist Redakteur für Stadtplanung in der Berlin-Redaktion der taz.