„Lieber sollen unsere Mütter weinen“

■ 60 Bremer Kosovaren rechnen in dieser Woche mit dem Marschbefehl der UÇK / Die ersten 137 Männer aus Bremen sind bereits im Kriegsgebiet angekommen / Ein taz-Gespräch

60 junge Kosovo-Albaner werden demnächst aus Bremen in den Krieg ziehen. „Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen“, sagt Agim Sejdik. Der 33jährige Kosovo-Albaner, der mit seiner ledernen Haut und den kaputten Zähnen offensichtlich nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurde, arbeitet seit rund zwei Jahren in Bremen für die UÇK. Gemeinsam mit zehn weiteren Kosovaren, die derzeit in der Hansestadt leben, folgte er jetzt einer Einladung der taz, um über die Stimmung unter Landsleuten zu sprechen – und über deren Bereitschaft, sich für den bewaffneten Kampf der UÇK gegen das serbische Militär in Kosovo zu melden. „Schreiben Sie aber nicht Rebellenarmee“, sagt UÇK-Anwerber Sejdik eindringlich. „Das sind Befreiungskämpfer.“

Die neun Männer zwischen 22 und 50 Jahren, die um den taz-Konferenztisch sitzen, nicken dazu. Kein Zweifel: Die Kämpfer der UÇK werden in höchstem Maß respektiert – auch wenn längst nicht alle am Tisch einer Meinung darüber sind, wie weit die politische Entscheidungsmacht der UÇK reichen soll. Die Sicht des UÇK-Mannes Sejdik, der nach Rugovas Freilassung aus serbischer Geiselhaft erstmal prüfen will, „was der alles unterschrieben hat und dann sehen wir weiter“, teilen wenige. „Rugova ist und bleibt unser Präsident“, stimmen die meisten Hassan Hyssein* zu: „Was Rugova als Geisel unterschrieben hat, ist erpreßt und ungültig“, sagt der 48jährige, der 1973 nach Bremen kam und hier sein Geld als Montagearbeiter verdient. Aber auch er sagt: „Kein Präsident ohne Armee. Wir wollen ein unabhängiges Kosovo.“ Deswegen unterstützt er auch das UÇK-Heer mit Geld. „Was nützt es mir schließlich, wenn ich Geld habe, aber keine Familie mehr, für die ich es ausgeben kann?“ fragt er. Seit Wochen hat er kein Lebenszeichen mehr von seinen Eltern erhalten.

Wo immer Bremens Kosovo-Albaner in diesen Tagen zusammentreffen, dominiert ein Thema: Der Krieg, das Elend und die Frage, wie man den Serben begegnen kann. „Wer hier arbeitet, zahlt also Geld. Aber wer auf der Straße steht, sollte sich überlegen, zu kämpfen“, faßt Hyssein solche stundenlangen Diskussionen knapp zusammen. Die Männer am Tisch nicken. Unter ihnen auch der 48jährige Lehrer Adem Berisha*. Sobald die Mittelsmänner der UÇK ihm Bescheid geben, wird er mit dem nächsten Trupp Freiwilliger ausreisen. Über fünf Jahren hat er dann in Deutschland gelebt. „Als ich zu Hause Berufsverbot bekam, nur weil ich albanisch bin, kam ich hierher und stellte einen Asylantrag“, berichtet er. Glücklich sei er hier nicht gewesen. Mit der serbischen Offensive ist das Unglück größer geworden. Wie alle am Tisch betrauert er jetzt Tote. Den Cousin. Den Onkel. Den Bruder. Und sorgt sich um zahlreiche Familienangehörige, die irgendwo im Kriegsgebiet vermißt sind. Der Lehrer, der in seiner Jugend in der jugoslawischen Armee gedient hat, und daher weiß, wie man mit einer Waffe umgeht, will nicht länger nur zuschauen. Die hohe Zahl von fast 220 Kriegs-Freiwilligen, die Bremer UÇK-Vertreter angeben, deutet darauf hin, daß viele so denken – auch wenn niemand genau weiß, wieviele Kosovaren im Raum Bremen überhaupt leben. „Höchstens 500“ seien seit Beginn der 90er Jahre zumeist als Asylbewerber gekommen, schätzt der Leiter des Bremer Ausländeramtes. Die Zahl der kosovo-albanischen Migranten unter den jugoslawischen Gastarbeitern kenne niemand – doch von 3.000 Kosovaren in Bremen zu sprechen, wie manche Kosovo-Albaner es tun, hält er für weit überhöht.

Zu den Jüngsten unter den jetzigen Freiwilligen zählen Nihal, Januz und Ismet. Sie gehören zur frühen Generation hier geborener jugoslawischer Migranten-Kinder. Doch nachdrücklich sagen die 22jährigen heute: „Wir haben albanisches Blut“. Die drei sind in Bremen geboren und hier zur Schule gegangen. Doch sie stehen „auf der Liste“. Wenn demnächst der Ruf kommt, wollen sie alles für die Freiheit der elterlichen Heimat riskieren – die sie selbst nur von Familienbesuchen kennen. „Ein paar- mal war ich da“, sagt Nihal. „Aber das macht keinen Unterschied.“ Sein jüngerer Bruder, der wegen der Eltern in Deutschland bleiben und nicht kämpfen wird, fügt hinzu: „Hier wohnen wir nur. Hier ist nicht Heimat. Hier sind wir nicht glücklich.“ Januz, der beste Freund des Jüngeren, wird mit dem Älteren in den Kampf ziehen. Obwohl auch er Kosovo nur von Besuchen kennt. „Wir werden das zusammen durchstehen“, nicken sich die beiden UÇK-Freiwilligen zu und heben das Wasserglas. Allerdings, eine Waffe haben sie noch nie in der Hand gehabt.

„Schießen und kämpfen lernen wir ja dort“, sagt Janusz. Sein bester Freund, der jüngere Bruder, mischt sich ein. „Aber sie werden kein Kanonenfutter sein wie deutsche Zeitungen schreiben.“ Auch die älteren Männer am Tisch nicken. „Die Kämpfer werden erst drei Wochen lang ausgebildet. Danach kommen sie nicht gleich an die Front. Erst zum Nachschub. Dann weitersehen“, beeilt sich der UÇK-Vertreter zu erklären. Einer der Männer in der Runde fällt ihm eifrig ins Wort: „Der Wille dieser Jungen ist stärker als serbische Panzer.“ Eine leise Unruhe geht durch die Runde. Hyssein ergreift das Wort: „Das Problem ist: Die Welt ist zu spät aufgewacht. Man hätte früher etwas unternehmen müssen.“

Doch die jungen Freiwilligen haben keine Zweifel, daß sie auch jetzt noch das richtige tun – obwohl die eigenen Eltern dagegen sind. „Eltern wollen nie, daß die Söhne in den Krieg ziehen“, sagen die drei Jungsoldaten. „Aber es ist unsere Entscheidung.“ Sie hätten lange beraten. „Warum soll ich zusehen, wie Russen sich freiwillig melden, um mit den Serben gegen uns zu kämpfen“, fragt auch Ismet. „Lieber sollen unsere Mütter weinen, als die von europäischen Soldaten. Es ist unsere Heimat.“ Nahils Tante weint schon jetzt. Bei ihrem letzten Telefonanruf aus Tirana erfuhr Nahil, daß sein Cousin mit einer serbischen Kugel im Kopf im Koma liegt. Er ging freiwillig zur UÇK.

Eva Rhode

Mit * gekennzeichnete Namen von der Redaktion geändert