Berlin Buch Boom
: Kulissen schieben

■ Wie Stadtführer und Heiratsratgeber wertvolle demokratische Beiträge leisten

Berlin unterscheidet von anderen Städten die Lage, die Geschichte oder die Größe, denkt man, und kramt dabei in seinem Hirn nach den letzten Restbröckchen symbolischen Politikverständnisses, um der neuen alten Hauptstadt etwas subtiler auf die Schliche zu kommen. Das mag unsereinem als Stadtbewohner hin und wieder gelingen, der durchschnittliche Tourist aber hat mit seinen Berlinführern nur geringe Chancen.

Schon gar nicht, wenn er auf „Berlin“ von Volker Oesterreich und Jürgen Henkelmann vertraut. Der zeigt die Stadt wie schon lang nicht mehr. Allüberall klarer Himmel, den es hier ja selten hat, und exklusive Fotografierstandorte, von denen aus sich Dinge ablichten lassen, als seien sie mächtig oder gar schön. Insofern wird sich der Tourist von dem Buch immer auf sein wirkliches Maß zurechtgestutzt finden, da seine eigenen Fotos bei aller Mühe immer nur graue Allerwelt bleiben.

Wo die Fotos von Pracht und Überfluß künden, menschelt es im Textteil. Dort wird lächelnd von Brandenburger Tor, Brecht und Berliner Schnauze erzählt und alles von Bismark über Hitler bis heute auf die Skala von hui bis pfui gebracht.

Eine ganz andere Art Ratgeber ist „Heiraten in Berlin“ von Eusebia de Pol. In diesem erfährt man alles, was man wissen muß vom Heiratsantrag bis zur Trauung, und darüber hinaus gibt die Autorin so absonderliche Tips zu einer Heirat im Dom, im Adlon oder auf einem Schiff. So was kostet ein paar Mark, doch das ist nicht das Problem der Autorin, die führt anderes im Schilde: „Welche Stadt, wenn nicht Berlin, wäre geeignet, zur deutschen Metropole des Heiratens zu werden, so wie Las Vegas oder New York ...?“ Die Antwort fällt leicht, Dortmund zum Beispiel.

Doch auch Frau de Pol will Welthaltigkeit, Metropolenzauber und Glamour. Für sie liegt die Qualität Berlins gerade in seiner Geschichte, ablesbar an den Gebäuden, die fast bersten vor Prunkhaftigkeit. Dort trifft sich der Heiratsratgeber mit Touristikführern wie dem oben beschriebenen: Die Vision vom Neuen Berlin ist hier schon die reine Wahrheit. Das führt zu den irrwitzigsten Vorschlägen: De Pol schlägt vor, Wedding seines Namens wegen zur deutschen Hochzeitshochburg zu machen. Na, das wird die Engelhardt-Fraktion freuen!

Zugleich zeigt dieser Vorschlag, um wen eigentlich gebuhlt wird: die Unterschicht und das Kleinbürgertum. Herr und Frau Geld machen ja eh, was sie sich leisten können. Beiden Büchern geht es darum, den kleinen Mann am großen Ganzen teilhaben zu lassen. Nicht die Stadt Berlin wird gesucht, sondern eine Kulisse zur Verschönerung des kleinen Alltags. Allerdings wissen alle Elitaristen und Wolfgang Schäuble: Der touristische Mob beraubt ein jedes Symbol staatlicher Macht seiner solipsistischen Würde. Sie erreichen den Gegeneffekt. Insofern liefern diese Kleine-Leute-Führer dann doch einen wertvollen demokratischen Beitrag. Jörg Sundermeier‚/B‘

Volker Oesterreich, Jürgen Henkelmann: „Berlin“. Stürtz Verlag, Würzburg 1998, 70 Seiten, 29,80 DM, Eusebia de Pol: „Heiraten in Berlin“. Ullstein Verlag, Berlin 1999, 216 S., 14,90 DM