Dank an Oberstudienrat Dr. Nato

■ Nützliche Fortbildung durch tägliche Bombardements

„Das erste Opfer in Zeiten des Krieges ist die Wahrheit“, lautet der Satz, den man seit drei Wochen wieder allenthalben liest. Und viele nicken dazu mit dem Kopf, sagen bedächtig und leise: „Ja, ja, so ist's, genau so.“ Ich allerdings bin nicht dieser Meinung. Im Gegenteil, ich finde, daß man im gerade laufenden Krieg ausgezeichnet informiert wird. Und von der Nato sogar ganz besonders gut.

Um ehrlich zu sein, wußte ich bisher nicht viel über Rest-Jugoslawien. Ich hatte die benachbarten Länder Rumänien und Albanien bereist und dachte, dort, bei den finsteren Serben, sähe es ähnlich aus. Auch Presse und Fernsehen schilderten das Land als eher vormodern, rückständig und gottverlassen.

Die Flieger der Nato erst zeigten mir das Land von einer anderen Seite. Aha, in Cecak gab es eine Fabrik für Elektrogeräte mit 4.000 Beschäftigten. So, so, in Leskovac stellte man Arzneimittel her, in Baric bei Belgrad stand eine Chemiefabrik. Und in Pritina produzierte man Stoßdämpfer und in einem weiteren Betrieb irgendwelche Plastikwaren, das ist ja interessant. Die „Zastava“-Automobilwerke in Kragujevac beschäftigten 38.000 Mitarbeiter – alle Achtung, Hut ab!

Heizkraftwerke und Erdölraffinerien gab's bei den Jugos wohl an jeder Straßenecke – wer hätte das gedacht? Mensch, dieses halbe Dutzend Donaubrücken, auch das machte bis vor kurzem noch einen ziemlich tippitoppen Eindruck. Und in Novi Sad unterrichte man an einer veritablen Universität – na, kiek mal einer an!

Ja, der Herr Oberstudienrat Dr. Nato ist ein echter Nachhilfelehrer. Jeden Tag erfahre ich von ihm etwas Neues über Jugoslawien: über das Land, seine Bewohner und besonders über seine Infrastruktur und Ökonomie. Ganz ehrlich, offen, unverblümt. Kürzlich zeigten mir seine Flieger das „Villen- und Diplomatenviertel Dedinje“ von Belgrad, aber auch einen albanischen Flüchtlingstreck sparten sie nicht aus. Ein „Polyglott“ informiert mich nicht besser, und selbst im „Lonely Planet“ findet man kaum diese Details.

Im Krieg bleibt die Wahrheit auf der Strecke? Ach was, viel mehr erfährt man über die Welt als im Frieden! Auch dafür, Herr Oberstudienrat Dr. Nato, meinen herzlichen Dank.

Christian Y. Schmidt