Rechnen mit zwei Sprachen

Die erste deutsch-italienische Grundschule in Hamburg ist erfolgreich – bei deutschen Eltern. Viele Italiener haben Angst, daß ihr Kind dort schlechter Deutsch lernt  ■ Von Judith Weber

Bei den Hausaufgaben wird Gaby Kallinowski ihrem Sohn nicht helfen können. Vokabeln Abfragen klappt vielleicht noch, mit ungelenkem deutschem Akzent. Aber wenn im Fach Sachkunde die Römer und die Germanen behandelt werden, wird die Hamburgerin nichts von dem begreifen, was in Arons Schulbüchern steht. „Kein Wort“ italienisch spreche sie, sagt Kallinowski. Ihr Sohn auch nicht.

Dennoch soll Aron nach den Sommerferien in eine zweisprachige Grundschule gehen – dort lesen und schreiben lernen, aufwachsen mit täglichem Italienischunterricht und mit Fächern, die nur teilweise oder gar nicht auf deutsch unterrichtet werden. Der Sechsjährige freut sich drauf, versichert seine Mutter, „das ist eine tolle Chance, möglichst früh eine Sprache mit auf den Weg zu bekommen“.

Weil viele Eltern so denken, hat die Hamburger Grund- und Realschule Döhrnstraße ein Problem. Für ihre „Scuola elementare italo- tedesca“, die im August starten soll, haben sich fast nur Kinder angemeldet, die prima Deutsch und kaum Italienisch sprechen. Rund die Hälfte kommt aus deutschen Familien. Die meisten anderen haben einen italienischen und einen deutschen Elternteil. Daher mußte kurzfristig das Konzept geändert werden: Eine Alphabetisierung in beiden Sprachen ist nicht möglich. Statt dessen lernen die SchülerInnen auf deutsch lesen und schreiben. Italienischstunden gibt's täglich dazu, in Mathematik werden Zahlen zweisprachig vermittelt.

Die „Scuola elementare“ ist eine von zwei bilingualen Grundschulen, die dieses Jahr in Hamburg eingerichtet werden. Die andere ist deutsch-portugiesisch. Auf diese Weise zollt der rot-grüne Hamburger Senat der multikulturellen Gesellschaft seinen Tribut – wachsen doch rund 34.000 Kinder in der Hansestadt zweisprachig auf. Bisher nutzten sie die Sprache, die zu Hause gesprochen wird, nur selten in der Schule. In Klassen, die je zur Hälfte aus deutschen und ausländischen Kindern bestehen, sollten die SchülerInnen jetzt Sprache und Kultur des jeweils anderen Landes kennenlernen.

Für das Kollegium an der Schule Döhrnstraße ist die Italienischklasse ein Experiment. Die neue Lehrerin Letizia Accinelli hat in Italien studiert und betreut zum erstenmal eine Klasse. Gemeinsam mit ihrer deutschen Kollegin Marlies Schröder bastelt sie derzeit am Konzept. Der deutsche Lehrplan wird befolgt, sagt Schröder, „aber wie wir das genau gestalten, überlegen wir noch“.

Weil fast alle LehrerInnen der Schule und nun auch noch die SchülerInnen am liebsten Deutsch sprechen, „müssen wir aufpassen, daß Italienisch nicht zur Nebensache wird“, erklärt Schulleiter Friedrich Heß. Die Gefahr, daß die Klasse letztlich doch eine deutschsprachige wird, bestehe aber nicht. „Die Kinder lernen Italienisch viel schneller als Erwachsene, weil sie nicht solche Angst haben, Fehler zu machen.“

Rund die Hälfte der SchülerInnen kommt zudem aus italienisch- deutschen Familien – und die sind „superglücklich, daß die Kinder auf diese Weise den Bezug zu Italien nicht verlieren“, sagt Harald Wenzing. Er ist mit einer Italienerin verheiratet, doch die Versuche, Sohn Fabio zweisprachig zu erziehen, endeten mehr oder weniger kläglich. „Meine Frau spricht zwar nur Italienisch mit ihm“, erzählt Wenzing. „Aber Fabio antwortet immer auf deutsch.“

Die bisher einzigen Alternativen zum Unterricht am Küchentisch – ein italienischer Kindergarten oder vom Konsulat organisierte Nachmittagsstunden – „fallen oft hintenüber, weil Spielen mehr Spaß macht“. Die Integration fördern solche Angebote erst recht nicht.

Weil das auch die SchulpolitikerInnen erkannt haben, gibt es in der Bundesrepublik inzwischen eine ganz Reihe zweisprachiger Grundschulen. Die neuen Bundesländer tun sich zwar noch schwer und bieten ab Klasse 3 lediglich Schnupperstunden in Russisch, Englisch oder Französisch an. In den alten Ländern jedoch gibt es häufig zweisprachige Klassen. In Berlin-Kreuzberg verzeichnet eine deutsch-türkische Schule seit Jahren großen Andrang. Deutsch plus Italienisch wird in Wolfsburg unterrichtet, in Stuttgart und im nordrhein-westfälischen Hagen.

Bei den italienischen Familien in Hamburg hält sich die Begeisterung über das neue Angebot in Grenzen. In der bilingualen Klasse an der Schule Döhrnstraße haben nur 4 von 23 Kindern zwei italienische Elternteile. „Viele Familien haben Angst“, vermutet eine Mutter, die mit einem Italiener verheiratet ist, „daß ihr Kind so schlechter Deutsch lernen würde.“