Unser Reichstag muß sauber bleiben

■ Die Abgeordneten des Bundestages wollen sich ihre Umzugssitzung in Berlin nicht vom Balkankrieg verderben lassen. 1914 wurden in dem Gebäude die Kriegskredite beschlossen

Joschka Fischer grinst, als befinde er sich noch in postkoitaler Hochzeitsnachtentspannung. Auf Helmut Kohls Gesicht glimmt der Widerschein der Altersseligkeit. Heute nimmt die Republik sich frei vom Krieg.

Zum Feiern gehört der Friede, da kann man Krieg nicht brauchen und erst recht keinen Streit um Krieg. Selbst wenn nur die kleinste Fraktion des Hohen Hauses dagegen ist. So wurde die Kontroverse ausgelagert: Über den Krieg beriet der Bundestag schon am vergangenen Donnerstag.

„Mit der vorgezogenen Sondersitzung soll verhindert werden, daß bei der feierlichen Eröffnung des Reichstagsgebäudes die kriegerische Auseinandersetzung auf dem Balkan in den Mittelpunkt rückt. Bei der ganztägigen Eröffnungssitzung in Berlin soll über die Lage der Nation debattiert werden.“ (dpa, 7. 4. 1999)

Daß der Bundestag dabei den Krieg als Gegenstand der Auseinandersetzung meidet, sagt auch etwas aus über die Angst der Abgeordneten vor der Vergangenheit. „Dieser Ort ist Geschichte. Er läßt keinen Austritt aus ihr zu“, erklärtParlamentspräsident Thierse zwar. Doch hätte eine Kosovo-Sitzung gleich zur Eröffnung des neuen Gebäudes die Parlamentarier in unliebsame Gesellschaft gebracht. In einer der berühmtesten Abstimmungen im historischen Reichstag ging es auch um eine Balkankrise. Damals, im Kaiserreich, genehmigte eine überwiegende Mehrheit des Parlaments die Kriegskredite, die den Ersten Weltkrieg mitfinanzierten.

Die Bundesrepublik sei „an anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen beteiligt“, formuliert Wolfgang Schäuble in einem kurzen Schlenker seiner Rede. Klingt wie die Ankündigung von Straßenausbesserungsarbeiten durch das Bauamt Bonn-Beuel.

Der Kanzler? Hat er überhaupt etwas zum Kosovo gesagt? Wenn Schröder spricht, weiß man am Ende des Satzes meist nicht mehr, wie er angefangen hat. Doch wenn die Erinnerung nicht trügt, hat auch er einige vage Worte zu dem Konflikt verloren, ebenso die Redner von FDP und Grünen. Aber selbst Gregor Gysi, der sich vergangene Woche eine rhetorische Straßenschlacht mit Joschka Fischer geliefert hatte, versuchte gestern nur noch halbherzig, den Kosovo zum Thema zu machen.

Der Bundestag will sich an diesem Tag in die Geschichtsbücher debattieren. In der Scheu der Abgeordneten vor dem Balkankonflikt artikuliert sich daher auch eine Beschwörung. Wenn wir den Krieg nur kräftig ignorieren, wird er vielleicht eine Fußnote der Historie bleiben. Patrik Schwarz