„Verzweifelt, aber ohne Zweifel“

Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Christian Ströbele, fordert den sofortigen Stopp der Luftangriffe, Fraktionskollegin Angelika Beer wirft ihm ein zu großes Vertrauen zu Milosevic vor, der bereit ist, sein Land zu zerstören. Ein Streitgespräch moderiert von  ■ Dieter Rulff

taz: Wenn der Konflikt im Kosovo nicht bald eine friedliche Lösung findet, kann es für die Grünen dramatisch werden, meint Ihre Vorstandssprecherin Antje Radcke. Wie dramatisch wird es denn, Herr Ströbele?

Ströbele: Wenn der Krieg bis zum Parteitag andauert oder gar Bodentruppen entsandt werden, wird es knapp für den Außenminister und die Fraktionskollegen, die dem Kriegseinsatz zugestimmt haben.

taz: Welchen Anteil hat der Außenminister Fischer am Dilemma der Grünen?

Beer: Joschka Fischer hat keinen Anteil an dem Dilemma. Ohne Rot-Grün wäre es noch früher zu Luftangriffen gekommen. Für die weitere Debatte wird die Frage des Einsatzes von Bodentruppen der Knackpunkt sein. Es darf nicht sein, daß wir unter Rot-Grün schleichend in einen Bodentruppeneinsatz schlittern. Dafür wird es keine parlamentarische Mehrheit geben.

taz: Herr Ströbele, unterstützen Sie die Friedensinitiative des Außenministers?

Ströbele: Ja. Das Wichtigste ist erst einmal, daß die Waffen schweigen. Er schlägt ja als erstes einen Rückzug der serbischen Kräfte aus dem Kosovo vor. Ich hätte es lieber gleichzeitig, weil die Chancen einer Annahme dann wesentlich größer wären. Aber über zwei Stunden wollen wir uns nicht streiten.

Beer: Du bist inkonsequent, Christian. Der Fünf-Punkte-Plan Fischers widerspricht dem, was du bislang gefordert hast. Du hast den einseitigen Abbruch der Bombardierung durch die Nato gefordert, während im Fischer-Plan der Rückzug der Serben an erster Stelle eines konditionierten Waffenstillstandes steht.

Ströbele: Ich fordere immer noch, daß die Nato sofort die Bombardierungen einstellt ...

Beer: ... und dann?

Ströbele: Dann sagt man den Serben: Ihr müßt im Kosovo jetzt die Waffen genauso schweigen lassen.

Beer: Lieber Miloevic, hör mal bitte auf mit der ethnischen Säuberung!?

Ströbele: Ja. Hör auf, Leute umzubringen, sie mit Waffengewalt zu vertreiben und ihre Häuser niederzubrennen. Meine Alternative zum Nato-Krieg war die Fortsetzung der Verhandlungen, weil die Nato-Angriffe nichts von dem gebracht haben, was wir erreichen wollten.

Beer: Das ist doch absurd. Schau dir doch die Kriege an, die Miloevic zu verantworten hat und wie er dabei bislang vorgegangen ist. Das ist ein Mann, der bereit ist, sein eigenes Land zu zerstören. Er hat die Ermordung und Vertreibung der Kosovo-Albaner zu seinem politischen Ziel erhoben. Da kannst du doch nicht sagen, wir hören auf und schauen zu, wie er sein Werk vollbringt.

Ströbele: Das ist eine böse Unterstellung, daß diejenigen, die den Nato-Krieg nicht wollen, gar nichts tun wollen. Natürlich sind wir dafür, alle Möglichkeiten der Verhandlungen und des politischen und wirtschaftlichen Drucks zu nutzen, damit die Vertreibungen eingestellt werden.

Beer: Dann sag doch mal, wie das erreicht werden soll.

Ströbele: Der Krieg hat Miloevic auch nicht an Mord und Vertreibung gehindert. Das war vorherzusehen. Vor einem halben Jahr wurde der Irak bombardiert, und Saddam Hussein hat das auch durchgestanden.

taz: Die Bundesregierung geht davon aus, daß Miloevic bereits vor Monaten einen genauen Plan zur ethnischen Säuberung des Kosovo gefaßt hat. Was nährt Ihre Hoffnung, daß Miloevic bei einer sofortigen Einstellung der Luftangriffe einlenkt?

Ströbele: Die Rechnung, durch Bomben und Raketen Miloevic zu stoppen, ist nicht aufgegangen. Das Morden und die Vertreibungen sind sogar noch grauenhafter geworden. Den Plan Miloevic' zur Vertreibung gab es wahrscheinlich. Nur muß ich feststellen, daß ein solcher Plan auch von anderen Machthabern in dieser Region nicht nur ausgearbeitet, sondern auch praktiziert worden ist. Siehe die Vertreibung der Serben aus der Krajina ebenso wie die von allen drei Seiten betriebene Politik der Teilung und Vertreibung in Bosnien. Das ist grauenhaft, aber es ist das Rezept, nach dem viele meinen, die Lage im ehemaligen Jugoslawien klären zu können.

Beer: Und wir gucken zu?

Ströbele: Nein, aber wir sollten jede Möglichkeit der Verhandlung, des Angebotes, der Repression und der wirtschaftlichen Hilfe nutzen.

Beer: Das ist doch passiert. Die EU hat versucht, diesen Krieg zu verhindern, indem sie finanzielle Angebote gemacht hat, die Miloevic eigentlich kaum ausschlagen konnte.

Ströbele: Die Nato wollte nicht mehr verhandeln, sondern verlangte ultimativ die Unterschrift von Miloevic.

Beer: Kannst du mal die Fakten zur Kenntnis nehmen? Zur gleichen Zeit, zu der die Verhandlungen in Rambouillet in der Sackgasse steckten, hatten wir Informationen über Truppenmassierungen, über die Pläne zur ethnischen Säuberung. Und da sagst du, man verhandelt einfach weiter, obwohl du weißt, daß Miloevic die Zeit nutzt, um diese Säuberung vorzubereiten?

Ströbele: Der Truppenaufmarsch der Serben im Kosovo hatte doch damit zu tun, daß die Nato mit Krieg drohte und Flugzeuge und Raketen rund um Serbien in Stellung brachte und 40.000 Soldaten mit Panzern und Artillerie in Makedonien stationierte.

taz: Frau Beer, hatten Sie in den letzten Wochen je das Gefühl, Ihre Prinzipien zu verraten?

Beer: Nein. Ich kann nach wie vor morgens in den Spiegel schauen. Ich bin natürlich zunehmend verzweifelt, aber ich habe keine Zweifel. Ich weiß keinen anderen Weg. Ich erwarte allerdings, daß die Bundesregierung die konsequente moralische Haltung, die sie im Kosovo-Konflikt zeigt, zukünftig auch bei anderen Konflikten an den Tag legt. Das ist die Glaubwürdigkeitsfrage für Rot-Grün wie auch für die Wertegemeinschaft Nato.

taz: Und wie machen Sie deutlich, daß Pazifismus noch ein grüner Wert ist?

Beer: Ich bin keine Pazifistin. Das bin ich nie gewesen.

Ströbele: Das haben wir gemeinsam.

Beer: Und ich glaube auch nicht, daß Pazifismus ein grünes Prinzip ist. Da würde die Partei einen Anspruch erheben, den sie nicht einlösen kann. Die Grünen sind allerdings auf die Gedanken der Pazifisten angewiesen, um sich auch in ihrem künftigen Programm dem Anspruch der gundsätzlichen Gewaltfreiheit zu stellen.

taz: Und in Ausnahmefällen kann von diesem Grundsatz abgewichen werden?

Ströbele: Ich lehne die unausweichliche Alternative, von der Joschka Fischer immer spricht – hier Pazifismus, da die Menschenrechte, und dazwischen muß man sich entscheiden –, ab. Ich sehe diese Alternative hier auch gar nicht. In den meisten Fällen, in denen dieser Gegensatz aufgebaut wird, stimmt er nicht. Wie es sich am Beispiel des Kosovo-Krieges zeigt, wie es sich am Vietnam-Krieg gezeigt hat, ist die Alternative eine andere.

Beer: Aber du kannst den Kosovo doch nicht mit Vietnam vergleichen.

Ströbele: Aber natürlich, ich habe das doch miterlebt.

Beer: Die Kriege der Zukunft sind ethnische Konflikte, die innerstaatlich aufbrechen. Da stellt sich die Frage, wie wir das Völkerrecht weiterentwickeln, um Modalitäten zu finden, die ein rechtzeitiges Eingreifen ermöglichen. Wir haben unterschiedliche Wahrnehmungen der Realitäten. Du akzeptierst nicht, daß bereits im letzten Jahr über dreihunderttausend Menschen im Kosovo vertrieben wurden. Glaubst du im Ernst, daß Miloevic nach dem Abbruch von Verhandlungen sagt, ich habe es mir jetzt anders überlegt, ich packe meine Vertreibungspläne wieder ein?

Ströbele: Nein, das glaube ich nicht. Aber wenn man Miloevic andere Möglichkeiten angeboten hätte, die Probleme im Kosovo zu lösen ...

Beer: Meinst du eine Teilung?

Ströbele: Nein, nein. Mit einer Friedenstruppe, die nicht die Nato sein muß. Denn ich verstehe bei jedem ehemaligen Ostblockland, daß für sie die Nato eine feindliche Macht ist.

Beer: Miloevic hat gesagt, er läßt keinen einzigen Soldaten rein, egal ob UN oder Nato.

Ströbele: Die Verhandlungen waren nicht ausgereizt. Eine UN- oder OSZE-Truppe wurde nicht angeboten, weil UÇK und USA nicht wollten. Noch am 31. März hat Draskovic erklärt, eine ausländische Teilnahme sei denkbar, allerdings nur ohne die Nato.

Beer: Die Uhr ist sogar angehalten worden, Christian.

taz: Herr Ströbele, sollte die von Ihnen vorgeschlagene Friedenstruppe auch friedenserzwingend tätig sein können? Das Programm der Grünen schließt das aus.

Ströbele: Das ist ein schwieriges Problem. Bisher akzeptiere ich nur Blauhelme. Ein Einsatz von Kampftruppen nach Kapitel VII wäre derzeit auch gar nicht erforderlich, wenn alle Seiten der Stationierung zustimmen.

Beer: Du sagst immer, du unterstützt den Friedensplan von Joschka Fischer. Du hast nun schon an zwei Punkten signalisiert, daß du ihn nicht unterstützt.

Ströbele: Bevor politisch und diplomatisch nichts passiert, ist das doch ein hervorragender Ansatz.

Beer: Okay.

Ströbele: Wenn der amerikanischen Präsident Clinton sagt, es gehe um die Verteidigung westlicher Werte, dann erinnert mich das an Kennedy, der sagte, wir verteidigen in Vietnam die westliche Freiheit. Und wenn ich sehe, was im Namen dieser Freiheit im Laufe der Jahre angerichtet wurde ... Damals hat es auch angefangen mit ein paar kleinen Unterstützungseinsätzen. Zum Schluß gab es über fünfhunderttausend Tote. Keiner behauptet mehr, daß dieser Krieg den westlichen Werten diente. Genauso ist es jetzt im Kosovo, und genauso wird die Geschichte über den Kosovo-Konflikt urteilen.

Beer: Wenn ich diese Einschätzung im Zusammenhang betrachte mit deiner Forderung, wir müßten zurück zur Friedensbewegung der achtziger Jahre, komme ich zu dem Resümee: Das ist eine friedenspolitische Kapitulation. Denn die Kriege der Gegenwart und der Zukunft sind völlig anders, als du in deinem Beispiel geschildert hast.

taz: Ist der Kososo-Konflikt Ausgangspunkt einer neuen politisch-pazifistischen Bewegung von Teilen der grünen Basis unter Einbeziehung der PDS?

Ströbele: Es sieht eher nicht so aus, als ob daraus eine bleibende politische Bewegung erwächst. Die PDS hat aufgrund ihrer Vergangenheit Schwierigkeiten, das zu repräsentieren, was die Grünen einst repräsentiert haben.

taz: Sind die Erfahrungen der letzten Wochen ein Anlaß, über eine Änderung des Programms der Grünen nachzudenken?

Ströbele: Unser Programm stimmt mit der grünen Politik nicht mehr überein.

taz: Und was von beiden soll geändert werden?

Ströbele: Im Grundsatz gibt es keinen Anlaß, am Programm etwas zu ändern.

Beer: Der Wertekern des Programms muß ebensowenig geändert werden wie unsere Positionen zur Konfliktprävention. Diese Mittel haben Priorität. Jedoch müssen wir für den Fall, daß sie eingesetzt wurden, aber nicht zum Erfolg geführt haben, die Bundeswehr in die Lage versetzen, daß sie einen Einsatz nach Kapitel VII durchführen kann.

Ströbele: Und was machst du, wenn unsere Bündnispartner für einen solchen Einsatz votieren, wir aber der Meinung sind, die Mittel der Prävention sind noch nicht ausgereizt?

Beer: Das kann ich dir ganz klar sagen: Bei einer Entscheidung zwischen Krieg und Frieden ist für mich dann diese eigene Position gewichtiger als die Bündnisfrage ebenso wie auch die Koalitionstreue.

Ströbele: Dein Wort in der Regierung Ohr. Ich kann das nur unterschreiben.