Im Krieg beginnt die „Berliner Republik“

■ Der Kosovo-Krieg und die Rückkehr des deutschen Parlaments nach Berlin haben eine gemeinsame Ursache: den Zusammenbruch des Kommunismus. Daran kam bei der gestrigen Eröffnung des Reichstags kein Redner vorbei

Berlin (taz) – Der Krieg im Kosovo ging gestern unvermindert weiter, die jugoslawische Armee stoppte den Strom der Vertriebenen an der Grenze zu Albanien – zur gleichen Zeit begann in der deutschen Hauptstadt eine neue Ära. 50 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und der DDR ist Berlin mit der Einweihung des Reichstagsgebäudes offizieller Sitz des Deutschen Bundestages geworden. Und es war Wolfgang Thierse (SPD), der beide Ereignisse in einen „Zusammenhang von geradezu tragischer geschichtlicher Dialektik“ stellte: „Die Wiederkehr eines gesamtdeutschen Parlaments nach Berlin und der kriegerische Konflikt um den Kosovo haben eine gemeinsame Ursache“, sagte der Bundestagspräsident, „das Ende des Kommunismus. Er hat uns das Glück der deutschen Einheit beschert, aber eben nicht, wie es doch vieler Menschen Hoffnung 1989/90 war, das goldene Zeitalter des Friedens, sondern neue, alte Gewalt.“

Die erste Debatte des Bundestages im neuen Reichstagsgebäude zeigte deutlich, daß das Gerede von der „Berliner Republik“ vor allem eine Gespensterdebatte ist. Es geht nicht um Berlin; die Hauptstadt ist nur zu einer Chiffre für die Hoffnungen und Ängste der Deutschen vor einem radikalen Wandel ihres Lebens geworden. Es geht ums Ganze: um die Zukunft Deutschlands. Dafür steht die „Berliner Republik“. Der gestrige Tag war jedoch nicht ihr Beginn, wie Gerhard Schröder meinte; sie hat schon begonnen.

Der Kosovo-Krieg und die Tatsache, daß zum ersten Mal in der Geschichte der westdeutschen Republik Soldaten in den Kampf geschickt werden, sind dafür das eindrucksvollste Beispiel. Daß die deutsche Politik dies als Herausforderung versteht, hat die gestrige Debatte über die deutsche Einheit gezeigt. Fast alle Redner sprachen über den Kosovo-Krieg, und manche haben vielleicht so empfunden wie der grüne Abgeordnete Werner Schulz, der bekannte, daß ihm angesichts des Mordens auf dem Balkan die feierlicher Stimmung fehle. Der Kanzler betonte in seiner Rede, daß Deutschland in einer historischen Verantwortung stehe, als Land, das Völkermord über Europa gebracht habe. Schröder sprach von einer neuen Epoche und zitierte den bekanntesten albanischen Schriftsteller, Ismail Kandaré: „Mit seiner Intervention auf dem Balkan hat das atlantische Europa eine neue Seite in der Weltgeschichte aufgeschlagen. Es geht nicht um materielle Interessen, sondern ums Prinzip: die Verteidigung der Rechte und des ärmsten Volks auf dem Kontinent. Dies ist ein Gründungsakt.“ Die gestrige Debatte über den Stand der deutschen Einheit verlief ansonsten in den gewohnten Bahnen. Der Bundeskanzler sprach für viele Abgeordnete, als er eine „überwiegend positive Bilanz“ zog. Dennoch gab es auch einige bemerkenswerte, nachdenkliche Sätze. So sprach Wolfgang Schäuble, der CDU/CSU-Fraktionschef, davon, daß die Westdeutschen nur wenig von den 40 Jahren der DDR wüßten. Die DDR-Bürger könnten auf ihre Lebensleistung „genausoviel oder genausowenig stolz“ sein wie die Menschen im Westen. PDS-Fraktionschef Gregor Gysi war erwartungsgemäß kritischer. Von der DDR sei vieles untergegangen, sagte er. Wenn etwas geblieben sei, sei dies nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Gnade geschehen. „Die Ostdeutschen wollten aber keine Gnade, sondern Respekt.“ Jens König Berichte Seiten 6 und 7