Fangschaltung  ■   Von Fanny Müller

Seit Wochen wird Maria, die Mama von Cassiel, die unter mir wohnt, von anonymen Anrufen tyrannisiert. Tenor: Sie sei eine Schlampe, das Kind bedauernswert und immer Männer zu Besuch ... Ihre Oma hat übrigens Weihnachten auch schon in dieser Richtung was anklingen lassen.

Unverheiratet, uneheliches Kind, ob sie wohl überhaupt noch einen abkriegen würde – das hatte Maria allerdings nicht gestört; Oma hatte schon immer einen an der Klatsche. Die Stimme, die nur auf den Anrufbeantworter sprach, wenn Maria weg war – also das Kind in den Kindergarten brachte und dann weiterradelte –, diese Stimme schien die eines älteren Mannes zu sein. Ich habe das Band gehört und tippte eher auf 70 als auf 60 Jahre. Maria war in Panik, weil es bekannt ist, daß Kinderschänder sich gern um „vernachlässigte“ Kinder kümmern. Und da man nie wissen kann, ob es ihnen nicht irgendwann zu langweilig wird mit der Telefoniererei und sie sich was anderes einfallen lassen, ging Maria zur Kripo.

Eine Beamtin kam mehrmals, um die Tonbänder abzuholen; die wurde auch ganz bleich, als sie die Tiraden hörte. Die übrigens nie länger als 30 Sekunden dauerten – offenbar einer, der Derrick gekuckt hat und glaubte, daß man den Anruf erst nach einer gewissen Zeit zurückverfolgen könne. Was nicht stimmt, denn man kann mit einer Fangschaltung den Anruf auch noch nach dem Auflegen ermitteln. Die Kripo hat dann eine Fangschaltung legen lassen, die muß Maria natürlich selbst bezahlen, denn es ist ja noch nichts passiert ...

Da sie davon ausging, daß es sich um jemanden von gegenüber handeln mußte, weil ja immer nur in ihrer Abwesenheit angerufen wurde, und wer sollte das sonst schon so genau wissen, wurde ein entsprechendes Szenario entwickelt. Heute sollte die Fangschaltung zum ersten Mal laufen, also lud Maria gestern abend drei frühere Freunde zu einer Orgie ein. Die saßen dann auf dem Sofa und sahen Fußball. Ihr aktueller Freund kam noch dazu und blieb extra über Nacht. Also ein richtiges Schlampen-Arrangement. Heute morgen haute sie dann mit Kind und Freund ab wie gewohnt, schlich sich aber mit Hilfe von Nachbarn aus dem Hinterhaus in ihren Garten – die Wohnungstür zum Garten hatte sie offengelassen –, denn der Anrufer sollte ja glauben, es sei niemand da. Die Sache ist die, daß eine Fangschaltung nicht mit Anrufbeantworter funktioniert. Man muß also den Hörer abheben, wenn jemand anruft, und dann eine Zahl wählen. Um den Verbrecher ja nicht zu verpassen, bin ich früh um acht im Bademantel durch die Wohnung von Martina, die auch parterre wohnt, und dann durch die Gärten und in Marias Wohnung gelatscht und habe Wache geschoben, bis Maria zurück war. Der Anruf kam, als Maria meinen Platz wieder eingenommen hatte. Sie hört ein kurzes Ächzen, dann wird aufgelegt. Maria drückt auf die Zahl. Maria ruft mich an. Die Telekom hat ihr die Nummer durchgegeben. Eine Nummer aus Lübeck. Die Nummer von Oma. Ich habe mir gleich das Copyright gesichert.

P.S.: Jetzt hat die Kripo bei Oma angerufen und Oma will Tabletten nehmen. „Soll sie doch“, sagt Maria. – Wird sie aber nicht , weil sie damit nun wirklich keinen ärgern kann.