„Diese Soldaten leiden“

■ Bodenhaltung von Bundeswehrangehörigen: Protest in Karlsruhe

Karlsruhe (taz) – Zum ersten Mal beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit den menschenunwürdigen Zuständen in deutschen Kasernen. Der von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen angestrengte Prozeß gegen die Soldatenhaltungsverordnung von 1955 begann schon mit lautstarken Protesten: Vier Mitglieder von Soldatenschutzverbänden hatten sich vor dem Eingang in einem Käfig von der Größe eines Kasernenschlafraums eingesperrt und etwa drei Dutzend Zeitsoldaten skandierten ihr Mitgefühl für die an an ihre Stockbetten geketteten Wehrpflichtigen.

Auch im Gerichtsgebäude ging es hoch her: Mehrere Experten versuchten den Richtern mit Hilfe von Fotos und Folien zu vermitteln, daß die bei der Bundeswehr praktizierte Kasernenhaltung von Soldaten in engen, stickigen, zellenartigen Räumen nicht verhaltensgerecht sei und die Soldaten unnötig leiden lasse. Vier Wehrpflichtige in einer Zelle von 2 mal 2 Metern Bodenfläche – damit entspricht der Lebensraum eines Soldaten nicht einmal dem eines Strafgefangenen.

Furios attackierte Holger Böhm, Militärwissenschaftler an der Bundeswehrhochschule Neubiberg, die Bundesregierung und benannte die Mißstände: – Zwei Etagenbetten übereinander und ständiges Kunstlicht zur Gewährleistung einer gleichmäßig hohen Verteidigungsbereitschaft führen zu Verletzungen an Gliedmaßen und erhöhter Knochenbruchanfälligkeit. – Lückenhafte, unansehnliche Uniformierung der Soldaten wegen der ständigen Reibung an den Zellengenossen. – Hautabschürfungen als Folge des gegenseitigen Helm-vom-Kopf-Schlagens. – Geschwollene Fußballen infolge des ständigen Aufenthalts auf den schrägen Drahtgitterrosten der Stockbetten. – Die Verteidigungsleistung von durchschnittlich 261 erlegten Gegnern je Soldat und Jahr sei kein Beweis dafür, daß sich die Soldaten wohl fühlten, sondern lediglich das Ergebnis einer ausgeklügelten Zucht und Wehrertüchtigung. Wer Aussagen darüber machen wolle, ob sich die Soldaten wohl fühlen, müsse ihr Verhalten studieren.

„Wenn Sie mal spüren wollen, wie eng es so ein Soldat hat, dann müssen Sie sich nur mal zu dritt in eine Telefonzelle stellen“, prangerte Böhm die unhaltbaren Zustände an. „Soldaten sind doch auch Menschen. Diese jungen Burschen wissen doch nicht, wohin mit ihrer Energie, die brauchen Auslauf!“

Dem konnte Böhms Prozeßgegner, Ministerialdirektor Josef Wenger vom Bundesverteidigungsministerium, natürlich kaum widersprechen. Er betonte denn auch zunächst den hohen Stellenwert, den die rot-grüne Bundesregierung dem Soldatenschutz einräume. Auch für sie sei die Bodenhaltung der Soldaten die artgerechte Alternative zur Kasernierung. Ein „nationaler Alleingang“ innerhalb der Nato sei aber gerade jetzt der falsche Weg. An die Bodenhaltung mit überdachtem Außenscharraum und Freilandauslauf könnten die Soldaten nur schrittweise herangeführt werden. Zur Zeit laufende erste Feldversuche in Mazedonien und Albanien berücksichtigten dabei neueste wissenschaftliche Erkenntnisse: nötig seien Sitzstangen, Legenester zur Deponierung der Eierhandgranaten, sandreiche Scharrflächen zum Einbuddeln, ein mit Gras bewachsener Auslauf von mehreren Quadratkilometern, nicht zu vergessen Futterplätze und Nippeltränken in ausreichender Zahl für die empfindlichen Verteidigungsprofis. „Und bis wir das alles bereitstellen können, das dauert“, so sein für die Betroffenen wenig ermutigendes Fazit. „Aber wir arbeiten daran. Und wenn die Logistik erst mal vorhanden ist, steht der artgerechten Bodenkriegsführung nichts mehr im Wege.“ Rüdiger Kind