Wehe, wenn Madonna schreddert

■ Diese seltsame Dialektik der Todesdrohung und die Schwierigkeit, hier zu sein. Salman Rushdie stellte im Berliner Haus der Kulturen der Welt seinen neuen Roman vor

Die Fatwa gegen Salman Rushdie ist – auch wenn die iranische Führung sich mittlerweile vom Mordaufruf distanziert – nicht rückholbar. Die Bedrohung bleibt bestehen. Doch jeder öffentliche Auftritt Rushdies arbeitet an ihrer stückweisen Entkräftigung und stemmt dem Leben im Versteck einen hochkontrollierten, abgesicherten Normalitätsausschnitt entgegen. Was bei anderen Autoren bloß eine Lesung wäre, ist bei Rushdie eine Demonstration: Seht her, das Leben geht weiter, und die gute Laune lassen wir uns von ein paar Todeskommandos auch nicht vermiesen. Sein Witz, sein Charme, seine Unterhaltsamkeit sind Tugenden, die zugleich die existentielle Qualität der Unbesiegbarkeit atmen: Dieser Mann ist nicht zu erschüttern. Selbst daß er so gesund und rosig aussieht, erscheint als seltsame Dialektik der Todesdrohung.

Auch das Publikum darf sich im Gefühl tapferer Anteilnahme zurücklehnen: ein jeder ein kleiner Held im humanitären Einsatz. Sicherlich hat der enorme Zuspruch, den Rushdie erfährt, auch damit etwas zu tun. Schon zwei Stunden vor der Lesung am Montag abend im Berliner Haus der Kulturen der Welt standen Hunderte seiner Fans Schlange, bepackt mit Stapeln dickleibiger Rushdie-Wälzer, um ein Autogramm des berühmten Mannes zu ergattern. Einmal Rushdie gegenüberstehen! Der signierte sich mit beeindruckender Geschwindigkeit durch diesen Andrang und schenkte jedem seiner Leser noch ein professionelles Lächeln dazu. Es ist ein seltsames, altertümliches Ritual: Als müsse der Autor noch einmal beglaubigen, was er einst schrieb. Als erhielte das Buch mit der Signatur ein Stück der Autor-Seele und damit die höhere Weihe zum schnöden Warencharakter – und der Konsum den Anschein der Kommunikation.

Mehr als zehn Jahre liegt die letzte Lesung Rushdies in Deutschland zurück. Nun trat er auf, um seinen Roman „Der Boden unter ihren Füßen“ vorzustellen und mit dem Talkshow-erprobten Roger Willemsen ein öffentliches Plauderstündchen abzuhalten. Rund 1.000 Neugierige wollten dabei sein und ließen sich von Sicherheitskontrollen wie im Flughafen und dezent unauffälligen Bodyguards an allen Ecken nicht abschrecken. „Entschuldigen Sie die Probleme, die Sie hatten, um hier hereinzukommen“, meinte Rushdie dazu, „aber Sie sollten an die Schwierigkeiten denken, die ich hatte, um hier zu sein.“ Entspannt und locker lehnte er sich im Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und genoß seinen Auftritt sichtlich. Ein wenig Koketterie ist da schon dabei, wenn er sagt: „Ich wäre sehr glücklich, wenn ich weniger berühmt wäre.“ Zwar kenne jeder Taxifahrer seinen Namen, aber nicht unbedingt das, was er schrieb. „Ich möchte, daß meine Bücher gelesen werden. Punkt.“ Aber auch in dieser Hinsicht ist die Fatwa nicht rückholbar.

„Der Boden unter ihren Füßen“ ist eine Dreiecksgeschichte um zwei indische Superstars der Rockmusik, eine Orpheus-und-Eurydike-Geschichte um die Sängerin Vina Apsara und den Komponisten Orpheus Cama, die von Rai, einem Fotografen und Jugendfreund der beiden, erzählt wird. Rushdie legt seine Helden als synthetische Figuren an und bedient sich reichlich aus der Musikgeschichte. Ein bißchen Madonna, ein bißchen Beatles, ein bißchen Dylan: Die Gruppe VTO hat das Beste von allen, und Rushdie verlegt es listig nach Indien: V-Effekt. In der Fiktion ist alles erlaubt und alles möglich. Daß VTO in Deutschland für „Video Theresa Orlowski“ steht, wußte zwar Roger Willemsen, Rushdie aber „hatte diese Assoziation nicht“.

Madonna hingegen erhielt das Buch bereits zugeschickt, versehen mit der Bitte, einen womöglich werbewirksamen Kommentar abzugeben. Statt dessen steckte sie es angeblich in ihren Schredderapparat. Auch nicht schlecht. Rushdie wünscht sich nun eine Buch-Banderole mit der Aufschrift „Shreddered by Madonna“. Außerdem biete sich an, es mit den Worten „More Sex than ever“ anzupreisen, denn um Sex geht es naturgemäß auch, wenn es um eine der Wirklichkeit nachempfundene Geschichte der Rockmusik geht.

Rushdie betrachtet sich als eine Art „Collagist“, der am liebsten über alles schreiben möchte. Es gebe, so sagt er, Autoren, die immer nur über nichts schrieben – er selbst gehöre dagegen zum Typus derer, die in jedem Buch das ganze Universum einfangen möchten. Ob dieses Bedürfnis nach Überfülle, die überbordende Breitwandphantasie auch eine Konsequenz seines abgeschirmten Lebens ist? Nein, sagt Rushdie. Überhaupt habe man ganz falsche Vorstellungen von seinem Leben. Schließlich habe er auch die vergangenen zehn Jahre nicht bloß isoliert in der Ecke gesessen, sondern habe „zurückgefightet“. „Der Boden unter ihren Füßen“, darauf beharrt er, habe nichts mit der Geschichte seines Lebens zu tun. Rushdie will ein Schriftsteller sein und nichts als ein Schriftsteller. Jörg Magenau

Eine ausführliche Besprechung von Salman Rushdies „Der Boden unter ihren Füßen“ erscheint am kommenden Samstag in der Literataz