Menschenüberbleibsel

■ Schwer alptraumverdächtig: Ady Henry Kiss und Carlos Peron führen durch Atlantic City

Schöne Idee eigentlich: ein Soundtrack, den man beim Lesen ausgewählter Passagen eines Buches hört und sich so auf eine Fantasiereise begibt. In diesem Fall allerdings nur ratsam, wenn man sich nicht gerade in einer depressiven Phase befindet. Denn Atlantic City, das dritte Gemeinschaftsprojekt dieser Art des in Deutschland lebenden Autors Ady Henry Kiss und dem Schweizer Musiker Carlos Peron, ist alles andere als ein leichtverdauliches Home-Musical. Der Suhrkamp-Verlag und das Hamburger Label Strange Ways haben den Sticker „Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker“ vergessen, denn einige der 14 Kurzhörgeschichten sind schwer alptraumverdächtig.

Kiss beginnt seine Erzählungen 1944 mit dem Chaos, dem Vermächtnis eines bankrotten Führers. Seine Visionen sind Splatter für Intellektuelle: Verrottete Kadaver faulen als schwarze Masse, zentimeterdicker Eiter platzt blutig auf Enthaupteten und Maden wabern durch Schizophrene. Korrupte Menschenüberbleibsel quälen sich noch eine Weile, bevor sich alle gegenseitig umbringen. Kühl distanziert und mit morbidem Humor erzählt er von verstörten Menschen.

Mit dem Elektronik-Pionier Carlos Peron hat er einen hochkarätigen musikalischen Mitstreiter gefunden, der ebenfalls das Düstere liebt. Dieter Meier bezeichnet das Gründungs-mitglied von Yello gerne als „Tonjäger“, denn er komponierte Collagen und Lärmbilder, als andere Musiker Mitte der 60er Jahre noch zur Klampfe johlten. Nach Yello hat Peron diverse Video- und Filmproduktionen vertont. Außerdem entdeckte und produzierte er Wolfsheim und komponierte die Titelmusik für Harald Schmidts Show Schmidteinander – und die Soundcollagen für die Literatur von Ady Henry Kiss. Die exzentrische Kollaboration der beiden wird nun auch in Hamburg zu sehen sein, wobei durch Performance-Elemente, virtuelle Filmteile und Großprojektoren ein musicalartiger Ablauf erzielt wird.

Stefanie Heim Mi, 28. April, 22 Uhr, Prinzenbar