Fast wie im Jugendzimmer

Pop im Plauderton: Salman Rushdie stellte schwer bewacht auf Kampnagel seinen neuen Roman vor und quatschte danach ganz ungezwungen mit Roger Willemsen übers Luftgitarre Spielen  ■ Von Oliver Rohlf

Da hatten sich zwei gefunden: „Der Typ mit der Fatwa“, Salman Rushdie, und der Kultur-Talker Roger Willemsen trafen sich auf Kampnagel, um bei Wasser im Weinglas ein wenig über Pop zu plaudern. Schließlich hatte „der bekannteste Schriftsteller der Welt“ mit Der Boden unter ihren Füßen gerade ein Buch veröffentlicht, in dem es auch um Pop geht.

Wer dabei sein wollte, mußte entweder vom Sicherheitsdienst sein, eine TV-Kamera bedienen oder sich, wie die meisten im ausverkauften Rund, durch einen kleinen Metalldetektor-Taschen-abgeben-ist-Pflicht-Parcours auf seine Plätze durchschlagen. Im Foyer wollte vorher noch ein Radioteam von den Besuchern wissen, wie es sich anfühlt, während der kommenden 90 Minuten rein hypothetisch von potentiell Wahnsinnigen in die Luft gesprengt werden zu können. Die Befragten strahlten Zuversicht aus, schließlich seien sie erfolgreich mit dem Auto angereist, was heutzutage ja auch eine Menge Gefahren in sich berge. Recht hatten sie, denn passiert ist nichts an diesem Abend.

Von Willemsen routiniert eingeleitet, standen zuerst 30 Minuten Vorlesekunst auf dem Programm. Dem folgte eine dreiviertelstündige Fernsehaufzeichnung, bei der der Talker vom Literaten wissen wollte, wie man als Jugendlicher im Indien der 50er Jahre zum Popper werden konnte. Rushdies Vorstellung hatte erwartungsgemäß etwas Zooiges an sich. Mehr ein Ereignis zum Angucken denn zum Zuhören. Wie sieht einer aus, der sich seit zehn Jahren verstecken muß, wie klingt seine Stimme? Die Antwort: locker und leicht.

Daß sich die in Auszügen vorgestellte Dreiecksgeschichte um zwei indische Weltstars und einen befreundeten Fotographen ein wenig zu sorglos an Kitsch und Rockgeschichte entlanghangelte und Pop hier mit Klamauk einherging wurde durch die Bank als sekundär empfunden. Roger Willemsen hingegen genoß es sichtlich, sich samt Gast in die feuilletonistisch abgesicherten Unterwelten der Trivialkultur abzuseilen. Und da gab es kein Halten mehr, viel Zeit und Raum für Erinnerungen nach Dinosaurier-Art. Schließlich ist Salman Rushdie nicht irgend ein älterer Mann, der früher auch mal jung war. Der 51jährige kennt nicht wenig der Kolosse des Rock persönlich, und sie alle kenne ihn: Bono von U2, Lou Reed oder Madonna, die ihr Exemplar von Der Boden unter ihren Füßen in den Schredder geworfen haben soll. Rushdie griente stolz ob dieser Form der Anerkennung und spekulierte öffentlich, wie dieser „Pop-Akt“, als PR-Gag genutzt, die Verkaufszahlen in die Höhe treiben könnte.

Doch das Leben des Erfolgsautoren aus Bombay war nicht von Anfang an von solch glamourösem Trubel durchdrungen. Deep in the 50ies, da steckte die Rockwelt noch in den Kinderschuhen. Die von Radio Ceylon seien Schuld gewesen, offenbarte Rushdie. Die hätten Elvis auf den indischen Kontinent gebracht und den vielleicht ersten Geniestreich kultureller Globalisierung vollzogen. Daher sei auch die von ihm erdachte Metropolen-Achse London – New York – Bombay im neuen Buch möglich gewesen, denn Elvis hat bislang noch jeden Eskimo vom Schlitten gehauen.

Willemsen und Rushdie bestritten das „Abenteuer Pop“ als ein mittelprächtig betagtes Duett mit einer Vergangenheit, die bereits Jahre vor diesem Auftritt Geschichte war. Sänger wie Pat Boone bekamen „Iiieeh!“ um die Ohren gehauen, denn Willemsen stand der Sinn nach Rock'n'Roll, und das meinte ein betuliches Maß an „Dreck“, vor allem aber „Jeans tragen“ und „albern sein“. Rushdie gab den Jugendkämpfer, der Rocksongs auch eine politische Dimension zuschrieb und Luftgitarre Spielen zur popkulturellen Königsdisziplin erhob. Am besten, wie 1993 geschehen, zusammen mit U2 vor 85 000 Zuschauern im Londoner Wembley Stadion. Fast wie im Jugendzimmer, fast wie Pop.