Kürzung auf Kosten Behinderter

■ Die „Lebenshilfe“ befürchtet wegen neuer Personalschlüssel den Zwangsumzug von Behinderten in große Wohnheime

Ganz plötzlich mußte Werner Holst (Name geändert) von Horn in die City ziehen. Nach zwölf Jahren verließ der 57jährige geistig behinderte Mann seine alte Wohngruppe – und bezog ein Doppelzimmer im Wohnheim. „Zwangsweise“ geschah das, klagte gestern der Verein „Lebenshilfe“: Wegen Kürzungen der Sozialbehörde müßten jetzt noch weitere 20 Bewohner gegen ihren Willen in rund um die Uhr betreute Heime wechseln, so der Bremer Wohnhilfeträger.

Hintergrund der Befürchtungen: Erst kürzte die Sozialbehörde vor drei Jahren alle 17 Aushilfsstellen, schimpft Wohnstätten-Leiter Burkhard Bahr. Jetzt sei zum 1. April auch noch der Personalschlüssel für alle sechs Wohngruppen mit 44 Bewohnern heruntergedampft worden. Der Hälfte der Bewohner drohe nun das gleiche Schicksal wie Werner Holst, der in seiner siebenköpfigen Wohngruppe nun viel zu wenig Betreuung hat: „Oft ist nur ein Betreuer da, und wenn der noch mit einem anderem zum Arzt geht, gar keiner“, erklärt Wohnstätten-Leiter Bahr.

Zwar sei der 57jährige extra in die selbständige Wohngruppe ohne Nachtwache gezogen, weil er nicht soviel Betreuung brauche. „Aber ein gewisses Quantum eben schon“, sagt Bahr. Das bekomme er nun im viel teureren Rund-um-die-Uhr-Wohnheim – und sei damit nun „aberwitzigerweise völlig überversorgt“.

Trotzdem setzte das Sozialressort einfach die Quote von einem Betreuer für 2,33 Betreute auf 1 : 2,6 runter – und plant für 2000 eine Endquote von 1 : 3. Dagegen sei man auch mit „fachlichen Diskussionen“ nicht angekommen, berichtet der Wohnstätten-Leiter. Dabei war selbst ein Behörden-Gutachten über die Wohngruppen zu dem Schluß gekommen: Keine Kürzungen in diesem Bereich, so Bahr.

Aber das wies die Behörde gestern zurück: Das Gutachten habe lediglich nahegelegt, „etwas geringfügiger zu senken als wir es letztendlich getan haben“, so Sprecher Holger Bruns. Man gleiche die „Lebenshilfe“ lediglich an andere Träger an. Denn „jahrelang“ habe es mit dem Verein im Grunde keine Verträge gegeben, erklärt Bruns die alten Aushilfen- und Personalschlüssel. Andere Träger würden mit denselben Stellen „qualitativ gute Arbeit“ leisten. Und außerdem würde die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeträger für derlei Wohnformen gar einen Schlüssel von 1 : 6 vorschlagen.

Bloß „alles Ausreden“ sind das für Wohnstätten-Leiter Bahr. Man hätte für die besondere Form der „Wohngruppe“ eben vor zwölf Jahren im „gegenseitigen Vertrauen“ diesen bestimmten Schlüssel vereinbart. „Das war fachlich begründet“, weil in anderen Wohnheimen zum Teil ganz anders zu betreuendes Klientel wohne. Der damals festgeklopfte Schlüssel werde jetzt „offenbar aus reinen Spargründen“ aufgehoben. Um dagegen anzugehen, wolle man jetzt alle Bremer Parteien für eine „Schiedsstelle“ gewinnen – um „wieder fachlich“ mit der Behörde diskutieren zu können. kat