■ Pampuchs Tagebuch
: Unaufdringlich höheres Niveau

Wir Surfer sind Geforderte. Auch – und immer mehr – intellektuell geforderte. Wer sich ahnungslos ins Netz begibt, dem kann es passieren, daß er plötzlich vor durchaus anspruchsvollen Texten sitzt und sich verwundert die Augen reibt. Denn die Herzeige-Geister dieser Welt tummeln sich zunehmend auch im Netz.

Namen, die man bisher nur aus bleilastigen Feuilletons, Wochenendbeilagen oder teuren Intellektuellenblättchen kannte, geben sich inzwischen mit Links auf jeder besseren Website ein Stelldichein. Manche von ihnen wissen es vielleicht nicht einmal. Aber fleißige Online-Katecheten, die aus den Tiefen der Redaktionsstuben in die Weiten des Webs katapultiert wurden, hieven heute allerlei Niveau in den Äther.

Zu loben ist in diesem Zusammenhang das schon ein Weilchen existierende „Telepolis – Magazin für Netzkultur“ (www.heise.de/tp/), das sich der Heise-Verlag (c't-Magazin) leistet und in dem Florian Rötzer, vormals bekannt durch seine SZ-Artikel, der Aufgabe widmet, den Internetblick zu weiten. Der Redakteur dieser Seite, den ich um ein paar Hintergrundinformationen zu dem Magazin bat, meinte, es sei „am Anfang zumindest“ etwas „verblasen akademisch“ gewesen. Prompt sprang mir – als ich Telepolis anklickte – auch gleich der Titel „Onlinesex – ferngesteuerte Lust“ ins Auge. Direkt akademisch erschien es mir jetzt allerdings nicht, was Rötzer mitzuteilen hatte. Vielmehr macht er uns höchst anschaulich mit dem „Zeitalter der Cyberdildonik“ bekannt: Von Stimulatoren und Vibratoren mit Internetzugang berichtet er, mit deren Hilfe man „immerhin seinen Körper bzw. sein Geschlechtsteil ein Stück weit einer anderen Person überlassen“ kann – auch wenn sie dann „allerdings noch recht unsinnlich mit der Maus gesteuert werden“. Vorzuwerfen ist Rötzer eigentlich nur, daß die spannenden Links, die er angibt, leider nicht funktionieren. So bleibt die „sexuelle Erregung mit einem Partner ohne Gesundheitsgefährdung – und auch sonst ohne aufdringliche Präsenz im Bett“ letztlich doch eher akademisch.Aber so ist es halt mit unseren mutigen Online-Intellektuellen. Im entscheidenden Moment klappt's nicht.

Kann natürlich auch sein, daß es das Internet ist, das da angesichts der neuen Aufgaben schmählich versagt. Doch wir wollen nicht schimpfen. Und ist nicht die alte bayrische Weisheit „Wer ned ko, der redt davo“ recht eigentlich auch die Basis des intellektuellen Diskurses? Und der wird bei Telepolis nun wirklich gepflegt. Auch über so ernste Dinge wie den Krieg. So verlinkt uns Rötzer mit Kommentaren von Leuten, deren Meinung man in diesen zerrissenen Zeiten gierig hören möchte. Ich muß jedoch bekennen daß ich mich nach dem Lesen der Stellungnahmen von Noam Chomsky und Eduardo Galeano, die Telepolis dankenswerterweise zugänglich macht, ähnlich fühle wie nach dem Artikel über Cyberdildonik. Gewiß, diese Altlinken, beide von internationalem Ruf, haben Kluges und Bedenkenswertes zu sagen.

Bloß: Galeanos Aufzählung der Sünden der Amerikaner in diesem Jahrhundert (die eh jeder kennt) hilft bei der Suche nach einer Befriedung des Kosovo nicht so recht weiter. Und dem Linguisten Chomsky bleibt nach langen Erörterungen nur die Erkenntnis, daß es einer „großen Beweislast“ bedürfe, um die Androhung oder Ausübung einer Gewalt zu rechtfertigen, die die Prinzipien der internationalen Ordnung verletzen. Eine Lösung hat auch er nicht. Nein, vom Internet Befriedigung oder gar Befriedung zu erwarten ist eine Illusion. Aber: Wer ned ko, was bleibt dem scho? Thomas Pampuch

ThoPampuch@aol.com