■ Türkei: Die Staatsanwaltschaft fordert die Todesstrafe für Öcalan
: Nicht der Kopf, der Bauch regiert

Der Ausgang des Öcalan-Prozesses steht für alle Beteiligten schon fest: Der PKK-Führer wird wegen Separatismus und Landesverrats zum Tode verurteilt. Und das Urteil, voraussichtlich im Laufe des Juni ausgesprochen, wird vom Parlament bestätigt werden. Wenn nicht noch etwas Außerordentliches passiert, wird Abdullah Öcalan gehenkt.

Der 15jährige Krieg der kurdischen Nationalisten gegen den türkischen Staat hat seinen Gegenspieler gestärkt: Der türkische Nationalismus befindet sich auf einem historischen Gipfel. Er wurde durch die als „entwürdigend“ empfundene Luxemburger EU-Absage aufgebaut und mit dem anschließenden Triumph über die PKK vollendet. Nicht der Kopf, sondern der Bauch regiert im Moment in der Türkei. Es ist kein Zufall, daß die extreme Rechte in den Städten ihre Stimmen verdreifachte, wo besonders viele junge Männer im Kampf gegen die PKK gefallen sind. Unter diesen Bedingungen kann keine sachliche Diskussion über die PKK oder die Kurdenfrage stattfinden, wie sie Anfang der 90er Jahre durch Özal begonnen wurde.

Es mag paradox erscheinen, aber die Festnahme Abdullah Öcalans und der noch nicht abgeschlossene Prozeß haben es erst recht unmöglich gemacht, die Kurdenfrage von der PKK zu trennen und separat auf den Tisch zu legen. Nur damit ist der Aufstieg des Nationalismus auf beiden Seiten zu erklären: im Südosten die Explosion der Stimmen für die Hadep und im übrigen Teil des Landes für die extremrechte MHP. Die Parlamentswahlen haben in einer außerordentlichen Konjunktur stattgefunden, und diese Konjunktur wird nicht durch den langwährenden Kampf zwischen den Laizisten und Islamisten bestimmt, sondern durch die Öcalan-Affäre.

Während sich einerseits auch kurdische PKK-Gegner emotional mit Öcalan verbünden, ist die PKK- Gegnerschaft auf der anderen Seite keinesfalls nur auf die Nationalisten oder Konservativen beschränkt. Der „aggressive kurdische Nationalismus“ in Form einer völligen Absage an die übrige Türkei wird auch von vielen Linksliberalen als Affront empfunden. Reden von der als „kolonialistisch“ und „chauvinistisch- faschistisch“ pauschalisierten türkischen Gesellschaft schaffen auch unter den türkischen Linken keine Sympathie – einer Linken, die durch den Wahlausgang ohnehin völlig entmutigt wurde.

Die Winde wehen herb, und das Sturmtief scheint sich bald über der Insel Imrali zu entladen, wo der PKK-Chef auf seinen Prozeß wartet. Wie es aussieht, wird kein Regenschirm dem standhalten können. Dilek Zaptçioglu