Querspalte

■ Gestank im Ohr

Niemand hat's gemerkt. Die Meldung war zu leise: Am 21. April war Der Tag für die Ruhe – gegen den Lärm, ausgerufen von der „Deutschen Gesellschaft für Akustik“, Oldenburg. Mein persönliches Festtagsprogramm: im geräuschisolierten Heim an Ambrose Bierce's Definition des Lärms als „Gestank im Ohr“ denken und schweigend vom handyfreien Speisewagen träumen, in dem kein schwachgeistiger Schwabe „Rädet sie net lang und faxet sie mir den Oufdraag sofordd zu!“ in seine affige Angeberbläke grölt; von Straßenbahnen ohne undichte Walkman-Hörermuscheln, denen beiderseits pubertär-pickliger Grimmgesichter kakophonisches Drum-and-Bass-Gerumpel entweicht; von Supermärkten, in denen keine schlafzimmerische Frauenstimme im sogenannten Einkaufsradio „Schnäppchen“, „Horoskope“, „Promi-Klatsch“ und ähnlich dumpfe Nichtigkeiten auf uns herabjaucht; von Kaufhäusern, in denen der Rätselruf „27 bitte 411“ eines stillen Tages einfach ausbleibt; von Dummen, die im Restaurant ihren täglichen Quark ganz leise erzählen.

„Ich höre das gar nicht“, zitierte Tucholsky vor rund 70 Jahren in seinem „Traktat über den Hund sowie über Lärm und Geräusch“ einen Hundehalter, den man auf das dröhnende Gebölke seines Riesen-Ungeziefers hinwies. Tucholsky entgegnet: „Es ist nicht wahr; sie hören es doch. Davon wissen ihre Untergebenen zu sagen, die Lärm, Geratter, Wagenstöße, Klavierspiel und Hundegebell ausbaden müssen. ,Was der Alte nur hat?‘ sagen sie dann. Es ist der Lärm. Seine schlechte Laune ist der Lärm, der aus ihm herausbrodelt und der wieder ans Licht will. Er hat ihn von den Ohren her nach innen gesogen, es hilft ihm aber nichts, er kommt wieder hochgegurgelt.“ Wohl wahr. Tröstlich für uns nervolabile Städter immerhin die neue wissenschaftliche Erkenntnis, daß überfallartiger Lärm inmitten der beschaulichen Idiotie des Landlebens (der loskrähende Hahn, der Jäger 90 im präkosovarischen Aufwärmflug) schädlicher ist als der Dauer-Radau der großen Stadt. Klaus Nothnagel