Sonia Gandhi soll Indiens neue Regierung bilden

■ Gandhis italienische Abstammung erregt die Anhänger der gestürzten Hindunationalisten

Delhi (taz) – Die Rufe, die gestern in Indiens Parlament ertönten, klangen wie aus der Reformationszeit in Nordeuropa. „Wir wollen keine Herrschaft von Rom!“ ertönte es von den Regierungsbänken. Vor dem Gebäude riefen indische „Protestanten“: „Wir werden keine Ausländerin ans Ruder lassen! Sonia Gandhi, hau ab!“ Frau Gandhi, geborene Maino, aus der Fiat-Arbeitersiedlung Obassano bei Turin, hatte zuvor von Indiens Staatspräsident den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten.

Am meisten war die BJP überrascht. Noch vor wenigen Tagen hatte die hindunationalistische Regierungspartei gehofft, das Mißtrauensvotum zu gewinnen. Doch sechs Abgeordnete besannen sich, und Premierminister A.B. Vajpayee mußte zurücktreten. Aus dem Traum von „Ram Rajya“ – der Herrschaft des Hindu-Gotts Ram – wurde der Alptraum eines „Rom Rajya“ – der Herrschaft „Roms“, d.h. der Säkularisten, Antinationalen und Globalisierer, kurz: der Feinde der BJP.

Doch noch ist es nicht soweit. Sonia Gandhi, Präsidentin der Kongreßpartei und Witwe des ermordeten führeren Premiers Rajiv Gandhi, verfügt nur über die 142 Stimmen ihrer Fraktion. Die anderen müßte sie von 20 Kleinparteien und Unabhängigen holen bzw. kaufen. Von diesen werden einige am Kabinettstisch Platz nehmen, andere werden, so die Hoffnung des Kongresses, diesen „von außen“ unterstützen. Doch bestenfalls hätte die 52jährige Witwe nur eine hauchdünne Mehrheit. Den meisten Mittelschichts-Indern sträuben sich die Haare beim Gedanken, daß sich unter 985 Millionen Menschen keine gebürtige Inderin findet, die das Amt ausüben könnte. Diese Meinung teilen jedoch die unteren Schichten und vor allem die Frauen nicht. Da ist ihr einfaches Auftreten; da ist der Name, den alle mit Staatsgründer Nehru und Schwiegermutter Indira Gandhi verbinden. Und schließlich sind da auch Korruption und Unfähigkeit der Politiker, anständig zu regieren. Bernard Imhasly