Rütteln am grünen EU-Posten

■  Ein EU-Kommissar der Bündnisgrünen wird immer unwahrscheinlicher. Berliner Spitzenpolitikerin Künast verzichtet. SPD-Politiker Günter Verheugen als Alternative?

Bonn (taz) – Bislang galt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Renate Künast, als die aussichtsreichste Aspirantin auf den Posten der ersten grünen EU-Kommissarin. Doch die Spitzenpolitikerin hat sich nun für eine andere Perspektive entschieden. Gestern erklärte sie ihre Kandidatur als Spitzenkandidatin in Berlin. Künasts Entscheidung erfolgte nicht ganz aus freien Stücken. Gegenüber der taz erklärte sie: „Aufgrung meines aktuellen Informationsstandes ziehe ich zurück.“ Seit Wochen herrscht in der grünen Führungsriege Unklarheit, wann und mit wem der Kommissariatsposten besetzt wird. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Rezzo Schlauch, nennt als Termin „nach dem 13. Mai“. Erst sollen auf dem Bundesparteitag die Querelen um den Kosovo-Krieg ausgetragen werden, dann will man sich dieser Personalie widmen. Auch wenn Künast aus dem Rennen ist, wird damit der Weg noch keineswegs frei für ihre Konkurrenz. Auch Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer wird Interesse an dem Posten nachgesagt, ebenso der Europaabgeordneten Edith Müller . Ein EU-Kommissariat wurde den Grünen im Koalitionsvertrag zugesagt. Um der Quotierung gerecht zu werden, sollte es mit einer Frau besetzt werden. Doch inzwischen sehen eine Reihe von Spitzenpolitikern das Amt in die Ferne rücken. Der offizielle Grund lautet, daß sich der designierte Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, ein Mitspracherecht bei der Neubesetzung der Kommission ausbedungen hat, die im Juni, spätestens Juli stattfinden soll. Inoffiziell befürchtet man, daß die SPD auf größere Distanz zu den Grünen geht, wenn die sich nicht regierungskonform verhalten. Schröder könnte den Posten den Grünen vorenthalten und dabei immer auf die Wünsche Prodis verweisen. Als Kandidat der SPD wird der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, gehandelt, der auch interessiert sei. Im Bundeskanzleramt wird die Personalie weder bestätigt noch dementiert. Man sei im Abstimmungsverfahren. Zugleich wird Kanzler Schröder starkes Interesse an dem Bereich Industrie und Telekommunikation nachgesagt, den bisher der EU-Kommissar Martin Bangemann verantwortet hat. Der FDP-Mann Bangemann scheidet aus, auch die SPD-Frau Monika Wulff Matthies hat kaum Chancen auf eine Wiederkehr. Wen man auch fragt im Grünen-Führungskreis, keinem will eine Person aus der eigenen Partei einfallen, die ein solches Wirtschaftskommissariat leiten könnte. Auch im Umfeld bietet sich auf Anhieb kein Name an, hinter dem sich ja zudem eine Frau verbergen müßte. Unmut wird deshalb laut, daß zuwenig kommuniziert werde, daß nicht auch andere Positionen verhandelt werden. Der Unmut richtet sich auf den Außenminister. Denn Joschka Fischer ist Schröders Ansprechpartner in Sachen EU-Kommissariat. Für wenig wahrscheinlich wird die Vergabe eines Postens an die CDU gehalten, zumal diese vorgestern eine Koalition mit der SPD ausgeschlossen hat. Denkbar ist folglich ein unabhäniger Kandidat, auf den sich Schröder und Fischer einigen. Wenn die Grünen leer ausgehen, könnte am Ende eine Kompensation stehen.

Das Bauministerium war zeitweise im Angebot, als über einen Wechsel von Franz Müntefering in das Ollenhauerhaus öffentlich nachgedacht wurde. Das ist passé. Andere Angebote sind nicht in Sicht, zumal das Kommissariat bei den Grünen hoch gehandelt wird. Einen Koalitionsbruch will man aber nicht riskieren. Darüber spekuliere sie nicht, sagt die Vorstandssprecherin Gunda Röstel. Dieter Rulff