Was ist ein Angriffskrieg?

■ Generalbundesanwalt Nehm muß erklären, warum er gegen die Bundesregierung wegen des Kosovo-Krieges nicht ermitteln will

„Hiermit setzen wir Sie in Kenntnis, daß wir glaubhaft von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Vorbereitung des Angriffskrieges erfahren haben.“ Die mehr als 50 Strafanzeigen gegen die Bundesregierung, die mittlerweile direkt oder über einzelne Staatsanwaltschaften Generalbundesanwalt Kay Nehm erreicht haben, muten zuerst fast absurd an. Auch die Verfasser der Anzeigen dürften davon ausgehen, daß Herr Nehm die Zeitung liest und selbst vom Nato-Einsatz im Kosovo gehört hat.

Den Chefankläger der Bundesrepublik haben sie in eine schwierige Lage gebracht. Seit einigen Wochen werden die Anzeigeerstatter in Briefen darüber informiert, daß keine Ermittlungen gegen Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Rudolf Scharping eingeleitet werden. Warum das so sein soll, läßt sich aber bei einem Krieg, der völkerrechtlich und in seinen Wirkungen umstritten ist, juristisch nicht leicht erklären.

„Wer einen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges ... herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft“, heißt es in § 80 des Strafgesetzbuches. Also: Ist der Kosovo-Einsatz ein Angriffskrieg? Was ist überhaupt ein Angriffskrieg? Nehm muß plötzlich einem Begriff Kontur geben, der in der Rechtswissenschaft seit jeher umstritten ist. Das Strafgesetz verweist lediglich auf das Grundgesetz. Sein Art. 26 erklärt „Handlungen, die geeignet sind ..., das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“, für verfassungswidrig und verlangt strafrechtliche Sanktionen. Die Mehrzahl der Kommentatoren verweist indes auf das Völkerrecht.

Darauf will sich Nehm aber auf keinen Fall einlassen. Schließlich, sagte er am Dienstag vor Journalisten in Karlsruhe, könne man die Auslegung nicht jedesmal ändern, wenn wieder ein renommierter Völkerrechtler eine neue Position zur Berechtigung der Bombardements verbreite.

Statt dessen beruft sich Nehm auf die Wendung „geeignet und in der Absicht vorgenommen“. Das „friedliche Zusammenleben der Völker“ sollten die Bomben ja gerade nicht stören, sondern herbeiführen. Völkerrecht hin oder her, strafbar könne das nicht sein. Auch Nehm wird froh sein, wenn der Krieg vorbei ist.

Gudula Geuther, Karlsruhe