Verärgerung über die Bonner Nabelschau

■ Hilfe vor Ort? Innenminister beschäftigen sich lieber mit Flüchtlingskontingentzahlen

Kaum hatten sich Bund und Länder verständigt, vorerst keine weiteren Flüchtlinge aus dem Kosovo in Deutschland aufzunehmen, ging die Diskussion in Bonn los: Darf die Bundesrepublik jetzt ihre Pforten schließen? Oder können weitere Flüchtlinge hier Zuflucht finden? Nach Ansicht von Hilfsorganisationen und Experten ist das eine völlig falsche Fragestellung.

Erst einmal müssen wir schauen, ob die vertriebenen Kosovaren in der Region bleiben können“, sagte Caritas-Sprecherin Gertrud Rogg. „Das hat absoluten Vorrang.“ Die Diskussion um Aufnahmekapazitäten bezeichnete die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) als Nabelschau. „Es ist nicht wichtig, daß wir ein gutes Gefühl haben, weil wir so viele aufnehmen, sondern daß möglichst vielen Flüchtlingen geholfen wird.“

Dem würden die Landesinnenminister vermutlich nicht widersprechen. Doch bei ihrer Konferenz mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Anfang der Woche ging es vor allem darum, ob Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen soll. Das sei nicht geplant, teilte ein Sprecher der Innenministerkonferenz als Ergebnis mit. Nur wenn sich die Situation im Krisengebiet zuspitzt, will Schily weitere Flüchtlinge aufnehmen. Am Freitag will er mit der UN-Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata klären, ob eine weitere Aufnahme notwendig ist.

Die Bundesregierung pochte zunächst aber darauf, daß die anderen EU-Länder ihren Pflichten nachkommen. Es müsse eine „ausgewogene Verteilung der Belastungen“ geben, hieß es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Union. Auch Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) forderte eine stärkere Solidarität der EU-Staaten. Ausgeschert aus der Regierungslinie ist bislang nur Verteidigungsminister Scharping (SPD). Unabhängig von der Lage müsse die Bundesregierung prüfen, ob sie jetzt ihr Kontingent von bislang 10.000 auf 15.000 Flüchtlinge anhebe, sagte er.

Unterstützung erhielt er von der Bundesausländerbeauftragten Marieluise Beck. Sie hält es auch für ein falsches Signal, das Kontingent auf 10.000 zu beschränken. Viele Kosovaren hätten bereits Verwandte in Deutschland und wollten zu ihnen. Deshalb solle man lieber EU-Mittel zugunsten von Deutschland verschieben als Flüchtlinge. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach sich für eine großzügige Aufnahme von Kosovaren in die EU aus.

„Jedes Land muß nach seinen Kräften Flüchtlinge aufnehmen, nicht nach Quoten“, kritisierte die Berliner Ausländerbeauftragte John. Zudem gehe es um eine „Ökonomie der Flüchtlingspolitik“. In Deutschland könne man mit einem Zehnfachen an Kosten nur einem Zehntel der Flüchtlinge helfen.

Auch die Hilfsorganisationen Caritas und Care Deutschland sind der Meinung, am besten blieben die Kosovaren in der Nähe ihrer Heimat. „Wenn die erst mal weg sind“, sagte Caritas-Sprecherin Rogg aus Erfahrung mit Bosnien-Flüchtlingen, „dauert es Monate, wenn nicht Jahre, bis sie zurückkehren.“ Wichtig ist in den Augen von Care-Sprecherin Yvonne Ayoub auch die Unterstützung der albanischen und makedonischen Bevölkerung – nicht zuletzt, um Neid und Ressentiments zwischen Bevölkerung und Flüchtlingen zu vermeiden.

Noch aus einem weiteren Grund wollen die Flüchtlingsorganisationen die Hilfe vor Ort aufrechterhalten: „Miloevic darf keine albanerfreie Region haben“, betonte John. „Sonst wären die Nato-Angriffe sinnlos.“ Jutta Wagemann