Der Appell des UNHCR verhallt

Die europäischen Staaten können sich nicht auf eine koordinierte Flüchtlingspolitik einigen. Alle wollen helfen, aber nach Möglichkeit nicht im eigenen Land  ■   Von Thomas Dreger

Über 600.000 Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkomissariats (UNHCR) aus dem Kosovo auf der Flucht. Doch nur 115.000 von ihnen werden nach derzeitigem Stand außerhalb des Krisengebietes Aufnahme finden. Das ist die Bilanz fast drei Wochen nach einem Appell des UNHCR an die Weltgemeinschaft, den aus dem Kosovo Vertriebenen Schutz zu gewähren.

Insgesamt 34 Staaten reagierten positiv auf den Appell. Doch etliche von ihnen wollten nicht – wie erhofft – konkrete Zahlen nennen, wie viele Flüchtlinge man aufnehmen will. Die Aufnahme von Albanern aus dem Kosovo diene den Zielen Slobodan Miloevic', lautet zumeist die offizielle Begründung. De facto sieht es jedoch so aus, als wollten viele Staaten so wenige Flüchtlinge wie möglich aufnehmen, dabei jedoch ganz besonders humanitär wirken. So landeten am Montag in Spanien, das vage zugesagt hat, „einige tausend“ Flüchtlinge aufzunehmen, die ersten beiden. Die 34jährige herzkranke Sadije Berisha und ihr Bruder, beide aus Pritina, wurden medienwirksam empfangen. Die medizinische Behandlung der Frau gilt in Spanien als nationale Wohltätigkeit.

Die Bilder des Elends in und um Ex-Jugoslawien erweichen jedoch auch die Herzen von Politikern, die bisher zauderten, Flüchtlingen Schutz zu bieten. So erklärte der niederländische Ministerpräsident Wim Kok am vergangenen Freitag, sein Land werde Flüchtlinge aufnehmen, sobald das UNHCR dazu aufrufe. Der Schönheitsfehler: Der Aufruf besteht bereits seit Anfang des Monats. Dennoch wandte sich die Organisation nach Koks Äußerung noch einmal an die niederländische Regierung und bekam am Sonntag die Zusage für die Aufnahme von 2.000 Menschen.

Kok forderte auch eine Koordinierung der Flüchtlingspolitik der Staaten der Europäischen Union. Ein hehres Anliegen, das jedoch kaum umgesetzt werden wird. Bisher betreiben die EU-Staaten ihre individuelle Politik und verweisen im Zweifel darauf, daß ihre Nachbarn es noch schlechter machen. So heißt es aus Frankreich, wo bisher 348 Kosovo-Flüchtlinge aufgenommen wurden, andere Staaten kämen ihren eilig gemachten Zusagen ja auch nur zögerlich nach. Eine Spitze in Richtung Deutschland, wo zu Beginn des Krieges die Zahl von 40.000 Flüchtlingen kursierte, die aufzunehmen man bereit sei. Heute ist in Bonn nur noch von 10.000 die Rede.

Frankreich will vier- bis fünftausend Menschen aufnehmen. Da man sie nicht in Lager stecken will (oder mangels Räumlichkeiten nicht kann), sind nun die BürgerInnen aufgefordert, Unterkünfte bereitzustellen. Sechs- bis achttausend französische Familien sollen sich dazu bereit erklärt haben. Nun wird deren Eignung geprüft. Inoffiziell heißt es jedoch, viele machten sich keine rechte Vorstellung davon, was auf sie zukommt. Vor allem rechneten sie nicht mit dem Umstand, daß häufig ganze Großfamilien auf der Flucht sind, die nicht zerrissen werden sollen.

Die größte Sorge vor den Flüchtlingen hat man in Italien. Mit einem Boot sind es nur wenige Stunden aus dem Kriegsgebiet an den sicheren Adriastrand. Das bereits häufiger mit kurdischen und albanischen „Boat people“ konfrontierte Land lehnt es strikt ab, zu sagen, wie viele Flüchtlinge es aufnehmen will. Zwar stehen 20.000 Notunterkünfte bereit, doch laut Regierungschef Massimo D'Alema ist „das Ziel der italienischen Politik die sofortige Rückführung von Flüchtlingen in ihre Heimat.“ In Rom hat man Angst, das Land könnte zum Rückstaubecken werden für Flüchtlinge, die nicht weiter nach Europa gelassen werden.

Die Sorge ist berechtigt, denn nach Schätzung des UNHCR reiche der bisherige Aufnahmewille nicht aus. „Zehntausende, wenn nicht mehr, werden kommen“, meint der Bonner UNHCR-Sprecher Stefan Telöken. Und es könnten noch mehr werden. In Makedonien werden bis zu 100.000 weitere Flüchtlinge erwartet. Das Land wird wie bisher alles tun, um sie wieder loszuwerden. „Dann“, so Telöken, „brauchen wir mehr Evakuierungsplätze.“