Putsch, Bürgerkrieg oder Sezession

■ Immer stärker wird der Druck des übermächtigen Serbien gegen den kleinen Partner Montenegro in der jugoslawischen Bundesrepublik. Serben beschießen albanisch besiedelte Dörfer und fordern, die montenegrinische Polizei der jugoslawischen Armee zu unterstellen

Flüchtlinge aus dem Kosovo werden offenbar erneut vertrieben – diesmal in Montenegro. Gestern teilte Nato-Sprecher Jamie Shea mit, jugoslawische Einheiten hätten in den letzten Tagen montenegrinische Dörfer in der Nähe der Grenze zum Kosovo angegriffen. Die Tageszeitung Vijesti berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von sechs getöteten Flüchtlingen, die auf dem Weg vom Kosovo in das montenegrinische Dorf Kaludjerski Laz waren.

Nun kann sich die Nato in ihrer Einschätzung bestätigt fühlen: Auch in der kleinenTeilrepublik Jugoslawiens gibt es Vertreibungen und Albanerhaß. Die politischen Unterschiede zwischen der montenegrinischen Regierung und dem serbischen Regime unter Präsident Slobodan Miloevic, so die Nato-Strategen in Brüssel, seien nicht der Rede wert. Und weil das so sei, könne das Militärbündnis nicht umhin, auch Montenegro den Krieg zu erklären.

Dagegen kontern die Betroffenen, Europa habe nicht zu differenzieren gelernt, die Regierung um Montenegros Präsident Milo Djukanovic bestehe aus westlich orientierten Politikern. Argumente dafür überbringen fast alle westlichen Balkankorrespondenten und nicht zuletzt Djukanovic selbst. Gestern weigerte er sich, seine aus 10.000 Leuten bestehende Polizei den jugoslawischen Streitkräften zu unterstellen, die 30.000 Militärs in der Teilrepublik stationiert haben sollen.

Einige Beispiele für Djukanovics kritischen Kurs gegenüber Belgrad gab es auch bereits in den vergangenen Wochen: Montenegros Präsident werde nicht müde zu betonen, heißt es von taz bis FAZ, die Präsenz einer Nato-geführten Truppe für das Kosovo zuzulassen und das Friedenspaket von Rambouillet zu unterzeichnen. Montenegro schicke keine Soldaten ins Kosovo, beteilige sich an keinen Vertreibungen und Massakern an albanischen Zivilisten. Und immer wieder wird in den westlichen Presseberichten darauf hingewiesen, Belgrad plane den Bürgerkrieg und scheue möglicherweise vor einem Militärputsch nicht zurück.

Was stimmt an diesen Argumenten? Warum weigert sich die Nato, zwischen Serben und Montenegriner zu differenzieren? Pessimisten unter den Montenegrinern beschwören schon wieder die Jahre zwischen 1919 und 1925 herauf, als im Land der schwarzen Berge ein blutiger Bürgerkrieg tobte, ein Machtkampf zwischen sogenannten Weißen und Grünen. Die „Grünen“ waren jene, die sich von Belgrad lossagten und von der serbisch dominierten Staatsidee eines Jugo-Slawien (Süd-Slawien) unter serbischer Königskrone nichts mehr wissen wollten. Als Weiße galten jene Montenegriner, die sich als „südserbischer Volksstamm“ fühlten und sich die Idee von einem jugoslawischen Staat auf die Fahne geschrieben hatten.

Die Frage von damals – Sind die Montenegriner ein eigenes Volk? – bewegt die Gemüter jetzt vor allem deshalb, weil die Nato nicht müde wird, Serben wie Montenegriner gleichermaßen für die Tragödie im Kosovo zu bestrafen. So sehen es die meisten Montenegriner, die den Weg in die Unabhängigkeit wagen wollen.

So wie es auch in der russisch-ukrainischen Geschichte Phasen der nationalen Einheit und Trennung gab, waren die Montenegriner stets hin- und hergerissen, sich dem Brudervolk der Serben (knapp 10 Millionen Menschen) anzuschließen oder sich als eigene Mini-Nation (600.000 Menschen) auf dem Balkan zu konstituieren.

Verhängnisvoll für die heutige Situation ist die Tatsache, daß sich die Montenegriner bei der Auflösung Jugoslawiens 1991 voll hinter die Kriegsabenteuer der Serben stellten. Montenegrinische Verbände waren beim Angriff auf Slowenien beteiligt, mischten in Kroatien mit und marschierten nach Bosnien ein.

Einer der berüchtigtsten Montenegriner ist der international gesuchte Kriegsverbrecher Radovan Karadic, der es mit Miloevics Gnaden bis zum serbisch-montenegrinischen Statthalter in Bosnien brachte. Einer seiner engsten Freunde wiederum war Milo Djukanovic, von Miloevic als Statthalter in Montenegro erkoren. Der möchte sich heute nicht mehr erinnern lassen, daß er es war, der den Befehl zur Bombardierung der Altstadt von Dubrovnik gab, dem von der Unesco als Kulturerbe geführten architektonisches Juwel an der Adria. Damals erklärte Djukanovics Sozialistische Partei: „Serben und Montenegriner sind Zwillinge, marschieren sie gemeinsam, besiegen sie jede faschistische Gefahr.“ Jetzt sieht der gleiche Djukanovic in seinem politischen Ziehvater Miloevic eine „faschistoide Figur“, die zu keiner demokratischen Erneuerung bereit sei und zu keinem friedlichen Zusammenleben mit anderen Völkern.

Diese Einsicht kommt zu spät. Zumindest aus Sicht vieler Nato-Strategen, die diesem Schwenk Djukanovics nicht trauen. Denn in der jüngsten Geschichte Serbiens gibt es schon einen Präzedenzfall eines Chamäleons. Der Mann heißt Vuk Drakovic und wandelte sich vom Kriegstreiber 1990 fünf Jahre später zum Pazifisten und Oppositionsführer Serbiens zum Vertreibungsstrategen gegen die Albaner. Der gleiche Drakovic, der noch vor eineinhalb Jahren Milosevic als „Faschisten“ beschimpfte und Djukanovic als seinen „politischen Freund“, erklärt heute, als Vizepräsident Serbiens, „meine Zusammenarbeit mit Miloevic ist großartig“. Djukanovicgibt Drakovic den Rat, „die serbisch-montenegrinische Nation nicht länger zu spalten und gemeinsam den Nato-Faschismus zu bezwingen“. Karl Gersuny, Wien