■ Urdrüs wahre Kolumne
: Mehr Rabatz!

Von einem fundamentalen Mißverständnis geprägt scheinen mir alle jene Vernünftler, die einen fröhlichen Mili-Tanz zum Bremer Nazitreffen ablehnen, weil die Hitlerbuben diesmal angeblich gewaschen und rasiert, alkoholfrei und bar aller Nahkampfwaffen kommen wollen, um so das Bild netter junger Leute zu suggerieren. Kämpferische Konfrontation durch autonome Antifas könne somit die Kackfrösche in der Öffentlichkeit nur aufwerten und dadurch Schaden anstiften. Eine Argumentation, die nur zu gut aus den 60ern bekannt ist, als die Staatstragenden die Aufmüpfigen im Lande mit genau diesem Argument davor warnten, daß sich „die Extreme nicht aufschaukeln dürfen“. Genau das Gegenteil aber trat ein: Je mehr Rabatz bei den Aufmärschen der NPD betrieben wurde, desto entsetzter zogen sich die kleinbürgerlichen Gelegenheits-Faschisten vom harten Kern zurück auf ihr harmloses Vergnügen, am 20. April zu Hitlers Geburtstag dem Schäferhund eine Extrawurst zu spendieren und im Stammlokal „Muttis Bierfütze“ mit clandestinem Grinsen ein Doppelkorn auf das Wohl des Führers zu trinken. Vorschlag zur Güte: Demonstrieren bei Daimler und anschließend den Sieg im DGB-Haus mit den Massen feiern!

Mit tiefem Mißtrauen verfolg' ich seit Jahren die Machenschaften der Bürgerpark-Tombolisten, doch daß jetzt herauskam, daß in der aktuellen Lotterie verfallene Lose aus dem Jahre 1994 mit längst abgelaufenen Gutscheinen für eine Tasse Kaffee bei Ikea auftauchen, das hätte ich mir selbst als Chefskeptiker nicht träumen lassen. Auch hier klafft wieder mal eine Gerechtigkeitslücke!

Für fast schon liebenswerte Naivität steht die jetzt in Verden verkündete Einschätzung der bundesweiten Initiative gegen Castor-Transporte, beim nächsten „Tag X“ könne sich die rotgrüne Bundesregierung „Polizeieinsätze wie in Gorleben nicht leisten“. Doch. Können die. Wetten daß?

Wer den Fehler machte, zum taz-Jubiläum den langen Weg nach Berlin anzutreten, wurde dort in manchen Kneipen schon mit dem auf Bierdeckel gedruckten CDU-Schnack „Wir Berliner sagen Reichstag“ begrüßt und wußte spontan, was unter „Berliner Republik“ gemeint ist. So warm wie dieser Gruß war auch das Bier für das gemeine Volk bei der Jubelfeier im geldrafferischen Kulturzentrum „Tacheles“, wo ein Hefeteilchen von österreichischen Trickbetrügern für vier Mark verkauft wurde und der normale taz-Leser vor lauter Ehrengästen im Festsaal nicht dabeisein konnte, als Chefredakteuse Bascha in würdiger Nachfolge ihrer VorVorgängerin Georgia Tornow mit mokantem Distanzlächeln eine taz von anno dunnemals mit der schönen Volksweisheit „Heraus zum 1. Mai“ hochhielt und sich dann ganz erheblich über den spontanen Beifall aus einem nicht unerheblichen Teil des Publikums wunderte. Ein langer Satz, der einen langen Abend nur unzureichend zusammenfaßt, aber doch klar macht: Ihr habt nix versäumt.

Und die gerechte Sache der Expropriation der Expropriateure durch die Expropriierten ist in dieser Nacht keinen Deut weiter gekommen. Schade eigentlich. Immerhin gelang es mir noch, mit dem alten Kampfgefährten Knofo von der Bewegung 2. Juni weit nach Mitternacht an die Türklinke eines Polizeireviers zu pinkeln, was der trüben Affäre etwas widerspenstigen Charme gab. Alttestamentliche Anmerkung: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde“ (Prediger 3,1).

Daß das liebenswerte Theater-Schlachtroß Klaus Pierwoß gegen die Reklamesäulen für das Kaffeefahrten-Unternehmen „Jekyll & Hyde“ vor den Toren seines Hauses wiehert, ist ebenso einsichtig wie begrüßenswert. Warum er aber die Installation eines Pissoirs am Goetheplatz als „rücksichtslose Implantierung“ ablehnt, bleibt mir völlig unerklärlich: Der Mensch in seinem Drange, er braucht Komödie und Tragödie, Oper und Ballett. Und muß auch müssen können: Die kneipenstrategische Lage macht die Entscheidung für diesen geographischen Ort geradezu zwingend – und mit ein bißchen Einfühlungsvermögen läßt sich hier doch eine Studiobühne für die Fickificki-Stücke britischer Jungdramatiker integrieren. Das hätte Flair und würde die Klappe von der Stätte reduzierter Begegnungen aus dem Hosenlatz zum kommunikativen Standortfaktor machen!

Wenn ich dem Archiv in meinem Hinterkopf glauben darf, jährt sich am 6. Mai zum 19. mal jener historische Tag, als das bessere Bremen den öffentlichen Meineid der Bundeswehr im Weserstadion zu einem antimilitaristischen Happening mit absolutem Bundesliga-Format machte. Leider stellt die hanseatische Fremdenverkehrswerbung solche Highlights viel zu wenig heraus, meint ganz im Ernst

Ulrich „Trotzkopf“ Reineking